Materialitäten erzählen

Materialitäten lehren

von Adrianna Hlukhovych

Das Buch „Materialitäten erzählen“ entstand als Sammlung von Portfoliobeiträgen, die im Rahmen des Blockseminars „Materialitäten“ im Wintersemester 2021/22 am Lehrstuhl für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg von Studierenden eingereicht wurden. Die Veröffentlichung des Sammelbandes war ursprünglich nicht geplant, doch die Arbeiten der Seminarteilnehmer*innen waren derart phantasievoll, inspirierend und absolut lesens-, sehens- und hörenswert, dass ein stimmungsvoller und vielstimmiger Sammelband über Materialitäten zustande kam.
Das Seminar behandelte solche miteinander verschränkten Themenbereiche, wie: material turn, Material Culture Studies, Thing Theory, kulturelle Biografien der Dinge, materielle Objekte und Identität, soziale Funktion und sozioökonomische Aspekte materieller Objekte, Wissensobjekte,  Dinge und Narrative, materielle Kulturen und Massenkonsum, Tauschobjekte, Rahmen-Analyse, Materialitäten in Film, Kunst und Literatur, handmade cinema, Akteur-Netzwerk-Theorie, Körper,  Trans- und Posthumanismus, Neuer Materialismus. Zur Sprache kamen dabei folgende Theoretiker*innen und Autor*innen: Doris Bachmann-Medick, Andreas Reckwitz, Bill Brown, Igor Kopytoff, Mihály Csíkszentmihályi, Erving Goffman, Daniel Miller, Pierre Bourdieu, Rom Harré, Marcel Mauss, Olga Moskatova, Karin Knorr-Cetina, Michel Callon, Bruno Latour, Donna Haraway, Janina Loh, Rosi Braidotti, Karen Barad. Die genannten theoretischen Positionen wurden zum Gegenstand der Referate wie der Diskussionen im Seminar.
Abgesehen von theoretischen Zugängen zu Kulturen des Materiellen hatten die Seminarteilnehmer*innen die Gelegenheit, sich mit Materialitäten in praktischen bzw. künstlerischen Übungen auseinanderzusetzen. Die Übungen boten eine im Nachhinein als sehr positiv bewertete Abwechslung zur theoretischen Beschäftigung mit dem Seminarthema. In der Regel folgten sie meinen Inputs, den Referaten der Studierenden bzw. Diskussionen im Plenum und dienten zugleich als Übung bzw. Vorbereitung für spätere Portfolioeinreichungen.
Moderierte Übungen im Rahmen des Seminars wurden insbesondere zu folgenden Themen angeboten: Jede Übung wurde mit einer Aufgabenstellung eingeleitet sowie umrahmt von Erläuterungen, Beispielen, ggf. Handreichungen oder Fragebogenvorlagen. Zudem wurden unterschiedliche Optionen für die Durchführung von Übungen aufgezeigt. Diese Optionen betrafen sowohl inhaltliche, konzeptionelle und organisatorische Aspekte als auch mediale Formate. Die Übungsaufgaben bestanden zum Beispiel darin,In der Regel dauerten die Übungen ca. 60 Min. In den meisten Fällen hatten die Seminarteilnehmer*innen die Möglichkeit, sich für eine Einzel-, Paar- oder Gruppenarbeit zu entscheiden, wobei einer Paar- und Kleingruppenarbeit der Vorzug gegeben wurde; Entscheidungen zugunsten der Einzelarbeit waren selten. Die Ergebnisse der Übungen wurden im Plenum vorgestellt und besprochen.
Als Prüfungsleistung konnten die Seminarteilnehmer*innen entweder eine klassische wissenschaftliche Hausarbeit einreichen, oder ein Portfolio, dessen basale Version aus drei nicht wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Beiträgen (beispielsweise Kurzgeschichten, Gedichten, Zeichnungen, Bildern, Audio- oder Video-Beiträgen) und drei wissenschaftlichen Essays bestand. Die letzteren sollten die nicht wissenschaftlichen Beiträge anhand der im Seminar besprochenen theoretischen Ansätze reflektieren. Je nach Aufwand und medialer Gestaltung durfte die Anzahl wie die Länge der Beiträge und der Essays variieren.
Die Anforderungen zu nicht wissenschaftlichen Beiträgen und wissenschaftlichen Essays wurden im Seminar erläutert und besprochen. Von den Seminarteilnehmer*innen, die als Prüfungsleistung entweder eine Hausarbeit oder ein Portfolio einzureichen hatten, entschieden sich ca. 90 % für ein Portfolio. Aus diesem Fundus der Portfolioeinreichungen wurden Beiträge für die Publikation im Sammelband ausgewählt. Die überwiegende Mehrheit der Studierenden hat der Veröffentlichung ihrer Beiträge zugestimmt. Bemerkenswert im Hinblick auf das Portfolio-Format war, dass die Grenze zwischen nicht wissenschaftlichen bzw. künstlerischen und wissenschaftlichen Beiträgen bei vielen Studierenden zunehmend fließend wurde; ggf. wurden diese beiden Formen der Reflexion über Materialitäten oft in einem Beitrag (sinnvoll) vereinigt.
Obwohl die im Seminar angebotenen Übungen als Beispielübungen dienten und es den Studierenden freistand, auf eine ähnliche Art und Weise alle im Seminar behandelten theoretischen Konzepte in nicht wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Beiträgen zu verarbeiten, gingen die meisten eingereichten Portfoliobeiträge letztendlich, wie vermutet, auf die theoretischen Themen zurück, die in den Übungen reflektiert wurden. Dies könnte als ein (fast verzichtbares) Plädoyer für die Effektivität und Nachhaltigkeit der im Seminar angebotenen, moderierten Übungen gelten. Ebenso rückten die meisten Portfoliobeiträge ‚Objekte‘ mit einer eher haptisch oder visuell greifbareren, konstanteren Materialität in den Mittelpunkt und behandelten seltener die mit den anderen Sinnen wahrnehmbaren bzw. fluideren, ‚abstrakteren‘ Materialitäten. Dieser Umstand lässt sich, auch wenn nur teilweise, ebenfalls auf die entsprechenden thematischen Schwerpunkte der Seminarübungen zurückführen.
Auffallend ist zudem, dass die meisten nicht wissenschaftlichen bzw. künstlerischen Beiträge der Textform der Kurzgeschichte zuzuordnen sind, was der akademischen Gepflogenheit der Verschriftlichung in den Geistes- und Kulturwissenschaften, den vorhandenen (ggf. fehlenden) Medienkompetenzen wie dem damit verbundenen zeitlichen Aufwand für die mediale Gestaltung der Beiträge geschuldet sein mag.
Das Format des Blockseminars, das an drei nacheinander folgenden Freitagen stattfand, erwies sich als ein vorwiegend dankbares Format für das Thema „Materialitäten“ und insbesondere für die angebotenen Aktivitäten: Theorie, praktische Übungen und Diskussionen konnten im Rahmen einer Sitzung – ohne Zeitdruck und Unterbrechung – integriert, in Verbindung gebracht und reflektiert werden, auch wenn – insbesondere angesichts des Online-Settings – mehr als drei kürzere Blocksitzungen denkbar wären. Das Online-Format des Seminars hatte allerdings einen ausgeprägten Mehrwert: Es erlaubte den Seminarteilnehmer*innen einen unmittelbaren und uneingeschränkten Zugriff auf Objekte, Materialitäten in der gewohnten Umgebung sowie auf mediale Tools, der in Präsenz wesentlich eingeschränkter gewesen wäre.
Dieser Sammelband enthält vorwiegend nicht wissenschaftliche bzw. künstlerische Portfoliobeiträge der Seminarteilnehmer*innen. Mit ihnen kommen die Aspekte der Materialitäten zum Vorschein, die über ihre kognitive Erfassung und Deutung hinausgehen. Die Singularität und das Perspektivenreichtum in Bezug auf ihre (sinnliche) Wahrnehmung und Erkenntnis, Auslegung und Sinnstiftung kommen verstärkt zur Sprache. Das Spektrum der Medien, die zum Einsatz kommen, wird erweitert. Diese Medien, die ihren Ausdruck in Worten, Bildern, Tönen, Zahlen finden, gewinnen an Gewicht; mitunter verlassen sie ihre Rolle als Werkzeuge und werden zu Instanzen der Autoreflexivität. Mehrere Beiträge lassen ‚Dinge‘ direkt zur Sprache kommen. Die Autor*innen nehmen einen unmittelbaren Anteil an der Entstehung der ‚Objekte‘ und reflektieren ferner die Prozesse ihrer Genese. Die Objekt-Kreationen treten in ein spannendes Wechselspiel mit den theoretischen Reflexionen über Objekte; wissenschaftliche und nicht wissenschaftliche Perspektiven ergänzen und bereichern sich gegenseitig. Das Zusammenspiel der Perspektiven bildet sodann einen vielversprechenden Ausgangspunkt für ein komplexes, vielseitiges und offenes Verständnis von Materialitäten. 

Und noch einige (Dankes-)Worte zu diesem Buch….

Vor einiger Zeit erwarb ich ein nicht mehr lieferbares Designstück und erhielt mit der Sendung einen Brief, der mit folgenden Worten eingeleitet wurde: „Thank you for giving a second life to the design piece that was delivered to you.“ Ich danke herzlich den Autor*innen dafür, dass sie in diesem Buch ‚ihren‘ ‚Dingen‘ – so engagiert und bereitwillig – ein (zweites) Leben geschenkt haben. Mein großer Dank gilt außerdem Jörn Glasenapp für Inspiration. Jennifer West danke ich sehr für das Titelbild, das dem Film „Rainbow Party“ (2008) entstammt und ebenfalls auf ein studentisches Projekt zurückgeht. Ich danke vielmals Andrea Garzarella und Khrystyna Demko sowie Erik Loyer wie dem Team von Scalar für die willkommene Unterstützung in technischen Angelegenheiten, und letzteren besonders für die Möglichkeit der Veröffentlichung des Sammelbandes auf der Scalar Publishing Plattform von The Alliance for Networking Visual Culture.

Bamberg, März 2023
 
 
 
© Adrianna Hlukhovych
 

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