Weggefährten
Max-Leopold, mein Besitzer, sieht zum Beispiel andere Dinge in mir als seine Familie.
Für Max-Leopold bin ich unter anderem ein Statussymbol, ein Indikator für Stand und soziale Position, ein Zeichen, das direkte Deutung erlaubt. In seinem Haus habe ich nicht unbedingt eine Funktion, erst unter anderen Menschen, beispielsweise in Max-Leopolds Freund*innengruppe, wird mir diese zuteil. Dann bin ich eine Sache, die ihn von anderen abhebt, die ihm eine gewisse Macht verleiht – darüber, wie er seine Zeit verbringt und wer sich ihm dabei anschließen darf.
Max-Leopold ist dann nicht mehr der ruhige und besonnene Mensch am Schreibtisch, über Zahlen und Listen gebeugt, sondern wirkt größer, entschlossener, weiß genau, wie er mich einsetzen kann. In diesen Momenten liegen eine Autorität und Stärke in mir zugrunde, ich kann Max-Leopold in unserer Zusammenarbeit etwas bieten, das nicht jede*r erfährt, der/die mich anstupst oder aufhebt.
Nicht von allen Leuten in seinem sozialen Umfeld wird Max-Leopold besonders beachtet; auch das zeigt, dass es leicht ist, mich und ihn in eine Schublade, eine einzige simple Kategorie zu stecken, über die man anschließend nicht weiter nachdenken muss. Max-Leopold ist der Stille, der verantwortungsbewusst seine Aufgaben erledigt, höflich, blaue Augen, die die Welt hinter Brillengläsern mustern. Aber wir existieren beide in zahlreichen Kontexten, wir sind mehr. Wir sind viele.
Unter Max-Leopolds Freund*innen werden wir beide bewundert, während in anderen Kreisen wenig Verständnis für unsere enge Bindung herrscht.
Max-Leopolds Schwester empfindet absolut kein Interesse für mich, sie widmet ihre Aufmerksamkeit lieber Bereichen, die wiederum Max-Leopold nicht versteht.
Seine Eltern können Max-Leopolds Leidenschaft nicht nachvollziehen, aber sie bemühen sich zumindest, hören ihm aufmerksam zu, wenn er erzählt und berichtet und erklärt.
Mit seinem Großvater, mit ihm kann Max-Leopold gut reden, der kennt die historischen Ereignisse alle, und Strategien, und er schildert seine Erlebnisse so lebhaft und detailliert, dass Max-Leopold das Gefühl hat, selbst dabei gewesen zu sein.
Für Max-Leopold und seinen Großvater bin ich nicht nur Teil eines Spiels.
Nicht nur ein Gegenstand, der nach einem langen Tag draußen Dreck mit in den Flur bringt.
Nicht nur ein Objekt, über das man bei zu geringer Vorsicht stolpern kann.
Es kommt wohl unter anderem auf den Ort an, ob ich Wert erlange oder verliere, auf den Rahmen, extern und intern, mit dem ich Relevanz erhalte.
In Max-Leopolds Nähe bin ich der passende Schlüssel zum Sieg, vor Max-Leopolds Füßen helfe ich ihm zu gewinnen, und Max-Leopold selbst ist dann nur noch Leo und gibt ab und dribbelt und schießt und „Tor!“; und ich liege im Netz und sehe zu, wie Max-Leopold von seinem Team stürmisch umarmt wird. In diesen Momenten bin ich viel ergiebiger als nur in meiner Form als Stück Leder, rund aufgepumpt.
Durch mich erhält Leo den Mut über sich herauszuwachsen, findet Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ich füge ein weiteres Element in das stetig wachsende Identitätspuzzle eines Achtjährigen ein.
Leos Schwester, gelangweilt von mir, hüpft klatschend am Rand des Feldes auf und ab, Leos Eltern rufen freudestrahlend seinen Namen, Leos Freundesgruppe boxen ihm begeistert gegen den Arm – ich bin ein Ding, speziell gestaltetes Material; aber möglicherweise bin ich auch der Grund für Spaß, Glück, soziale Bindungen, Kameradschaft, fördere familiäre Liebe und zahlreiche Arten der Beziehungen, biete Emotionen, die sich nicht mit zwei Händen um meine Nähte greifen lassen.
Und darauf bin ich durchaus stolz.