Erik Kessels, 24HRS in Photos, 2016
1 2023-04-06T08:30:26-07:00 Annalena Erhardt 1a022d27e270999f2e15ea6dc1c3503cdf06ca6f 42751 1 Willkommen im „Photographocene“ – mit einer Fotoinstallation von Erik Kessels plain 2023-04-06T08:30:27-07:00 Annalena Erhardt 1a022d27e270999f2e15ea6dc1c3503cdf06ca6fThis page is referenced by:
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Überblick und Einblick
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Einführung in das Promotionsprojekt
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Wenn ‚der Mensch‘ ‚die Umwelt‘ tiefgreifend nach seinem ‚Bild‘ verändert, wie es das ‚Menschenzeitalter‘ impliziert, dann gilt es nach dem bzw. den zugrundeliegenden Menschenbild(-ern) zu fragen. Denn der Mensch erscheint bekanntlich nicht nur im Holozän,[1] auch im Begriff des Anthropozäns wird gegenwärtig je nach Lesart das (Neu-)Erscheinen oder Verschwinden des Menschen breit diskutiert.[2] Doch wie erscheint der Titelgeber als ‚naturaler Einflussfaktor‘ auf geologischer und planetarischer Skala in der visuellen Kultur des Anthropozäns? „The ‚Anthropos‘ has come back“, ruft indes Bruno Latour aus, nicht ohne einen offenen Widerspruch zu hinterlassen: Während die Naturwissenschaft den ‚Anthropos‘ zunächst ins Bild – zumeist in Kurven und Karten sowie in Modellen und Tabellen – gesetzt habe, sei damit kein homogenes Menschenbild einhergegangen.[3] Im Gegenteil kollidiert ein naturalistischer Menschenbegriff, wie ihn Paul J. Crutzen mit der Hypothese einer „Geology of mankind“ eingeführt hat,[4] mit kulturhistorisch differenzierten Menschenverständnissen oder auch Antihumanismen.
Dies äußert sich auch in einer Reihe von Alternativvorschlägen, die zum Begriff des Anthropozäns eingebracht wurden –[5] darunter das sogenannte „Photographocene“, dem Vorschlag von Ana Peraica, anthropogene Umweltveränderungen von ihren fotografischen Bildern zu unterscheiden, da diese zur Wahrnehmung, gleichzeitig aber auch zur Produktion des Anthropozäns beitragen können.[6] Hingegen fokussiert die Medienphilosophin und -künstlerin Joanna Zylinska unter dem Titel Nonhuman Photography auf solche ‚Fotografien‘, in denen der Mensch weder als Subjekt noch als Agent oder Adressat erscheint, die aber dennoch von der anthropogenen Umweltzerstörung zeugen.[7] Auf der Suche nach einer adäquaten Ikonografie des Klimawandels – und somit einer der implizierten Folgen des Anthropozäns –[8] kommt die NGO Climate Outreach zu dem Ergebnis, dass die Präsenz von Menschen in Fotografien, die den Klimawandel authentisch bezeugen sollen, essentiell sei.[9] Damit bestätigt die Studie empirisch einen historischen „,photography truism‘“,[10] wonach mit Walter Benjamins Fotogeschichte „der Verzicht auf den Menschen für die Photographie der unvollziehbarste unter allen“ sei.[11]
Galerie aus dem Projekt Nonhuman Photography
Zu diesem Schluss kommt Benjamin nach der Lektüre zweier Bildbände, die er als einer der ersten ,Fotobuchkritiker' unterschiedlich bewertet. Während August Sander die Grenzen des Genres der Porträtfotografie nach dem Vorbild des russischen Spielfilms zwischen „Milieu und Landschaft“ im Langzeitprojekt Menschen des 20. Jahrhunderts bzw. dem 1928 publizierten Antlitz der Zeit erweitert habe,[12] könne die Sach- und Naturfotografie im kurz zuvor erschienenen Bildband Die Welt ist schön von Albert Renger-Patzsch „nicht einen der menschlichen Zusammenhänge fassen […], in denen sie auftritt“.[13] Der zeitkritische Kontext mit Blick auf das Menschen- und Deutschlandbild der Epoche trete hingegen bei Sander hervor: „Sanders Werk ist mehr als ein Bildbuch: ein Übungsatlas.“[14] Sander selbst war es um eine visuelle und universelle Alphabetisierung des Menschen gelegen.[15] Im 21. Jahrhundert haben sich nicht nur die Zusammenhänge gewandelt, in denen der Mensch in seiner Umwelt und Zeit erscheint, sondern auch die Buch- und Medienlandschaft, in der zeitgenössische Fotografie auftritt, so die Hypothese des vorliegenden Promotionsvorhabens.[1] Vgl. Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. Der Anachronismus im Titel des Werks kann auf verschiedene Arten gelesen werden.[2] Exemplarisch vgl. Hamilton, Defiant Earth; Haraway, Staying with the Trouble.[3] Latour, Facing Gaia, S. 117.[4] Vgl. Crutzen, „Geology of mankind“.[5] Vgl. exemplarisch Haraway, Staying with the Trouble; Moore, Anthropocene or Capitolocene; Demos, Against the Anthropocene.[6] Vgl. Peraica, „Photographocene“[7] Vgl. Zylinska, Nonhuman Photography, S. 5.[8] Vgl. O’Hara, Climate Change in the Anthropocene.[9] Corner, Webster u. Teriete, Climate Visuals, S. 14.[10] Ebd.[11] Benjamin, „Kleine Geschichte der Photographie“, S. 262.[12] Ebd., S. 262. Siehe hierzu: Sander, Antlitz der Zeit.[13] Ebd., S. 267. Siehe hierzu: Heise, Die Welt ist schön.[14] Ebd., S. 264.[15] Siehe hierzu August Sanders Vortragsreihe „Vom Wesen und Werden der Photographie. Die Photographie als Weltsprache“ aus dem Jahr 1931 zit. in: Sekula, „Der Handel mit Fotografien“.