Anthrofoto-Vision: Projektbeschreibung des Promotionsvorhabens „Anthrofoto“

Ausblick

Nicht zuletzt geht es bei dem Projekt um die zentrale Frage, inwiefern Menschenbilder im Fotobuch seit The Pencil of Nature Einfluss auf unseren Umgang mit der Umwelt haben, und inwieweit das Anthropozän Menschenbilder als Denkbilder – und nach Jonas „Möglichkeit“ –[1] bereithält. Das Dissertationsprojekt Anthrofoto fragt zudem auch nach möglichen Gegenbildern zum Anthropozän und folgt schließlich dem Programm der Arbeitsgruppe Fotografieforschung[2], weder ‚das Wesen‘ – wie etwa in Human Nature – des Menschen anzuvisieren, noch „das Wesen der Fotografie vergleichend herauszuarbeiten, sondern von der Idee eines stabilen Wesens Abstand zu nehmen, um den Bedeutungszuweisungen an das fotografische Bild in […] spezifischen Konstellationen nachzuspüren.“[3] Neben den multimedialen Großprojekten populärer männlich-westlicher ‚Meisterfotografen‘, die jedoch bisher keiner umfassenden werk- und medienübergreifenden Analyse unterzogen wurden,[4] sind darüber hinaus auch bislang wenig betrachtete Werke aufzuspüren. Übergeordnetes Ziel der Forschung ist es, einen differenzierten und dialektischen Bild- sowie Menschenbegriff des Anthropozäns herauszuarbeiten.

Im Fokus steht so etwa auch Chris Jordans Werkreihe Portraits, die keine Porträts im gattungsspezifischen Sinn enthält, sondern in den einzelnen Werkphasen von der Landschaftsfotografie über Datenlandschaften mit umwelt- und bildgeschichtlichen Referenzen bis hin zu einem ökozentrischen Einblick in das (Innen-)Leben von Seevögeln unterschiedliche Deutungsphasen des Anthropozäns und damit verknüpfte Menschen- wie Selbst- und Rollenbilder des Fotografen sichtbar macht: Das letztgenannte tierfotografische und -filmografische Projekt Midway dient als Blaupause für den Fotokünstler, die Vernetzung der Spezies zu visualisieren sowie der Konsumgesellschaft ein Spiegelbild vorzuhalten.[5]

Die Biologin und Fotografin Cristina Mittermeier fokussiert hingegen auf ein von Achtsamkeit und Nachhaltigkeit geprägtes Menschenbild in Amaze, in dem sie Naturvölker, Wildtiere und Wasserlandschaften und die zwischen Mensch und Umwelt aus ihrer weiblichen Perspektive abbildet und dabei auch alternative aufmerksamkeitsökologische Seh- und Lesestrategien anbietet.[6] Der Geograf und Fotograf Michael Martin wiederum stellt fest: „Nicht nur das ‚Motiv Mensch‘, auch das ‚Motiv Landschaft‘ hat sich verändert.“[7] – um für das Großprojekt Terra mittels „Multivision“ vom Diafilm bis zur Drohnenfotografie dennoch Naturlandschaften festzuhalten.[8]

Als bisher nicht untersuchtes Hyperbook kommt zudem das vom Fotokünstler Anne de Vries zusammen mit einer künstlichen Intelligenz entwickelte Deep Scroll in das Blickfeld, das die Tiefen- und Menschengeschichte des Anthropozäns in sich einander überlagernden Bildschichten zu sehen und zu lesen gibt.[9] Bruchstellen in Menschenbildern über Seitengrenzen des Fotobuchs hinweg nachzugehen, bietet schließlich auch die Möglichkeit, der „Gegenwartsdiagnose“[10] des Anthropozäns alternative und konstruktive Zukunftsbilder jenseits von eindimensionalen Anthropozentrismen und Apokalypsen entgegenzuhalten.

 
[1] Jonas, Prinzip Verantwortung, S. 244.
[2] Siehe hierzu: https://gfmedienwissenschaft.de/gesellschaft/ags/ag-fotografieforschung (Zugriff: 15.03.2023).
[3] Ruchatz, „Medienwissenschaftliche Fotografieforschung“.
[4] Ausgenommen von Studien zu einzelnen Fotografen: Schuster, „Between Manufacturing and Landscapes“; Druick, „Capitalist Aesthetics“.
[5] Siehe hierzu: Jordan, Intolerable Beauty; ders., In Katrina’s Wake; ders., Running the Numbers; Jordan, „Midway“; Albatross, Emiliani, ders.
[6] Siehe hierzu: Mittermeier, Amaze.
[7] Martin, Die Welt im Sucher, S. 53.
[8] Ders., Terra.
[9] Siehe hierzu: de Vries, Deep Scroll. Anne de Vries ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen niederländischen Schriftsteller.
[10] Horn u. Bergthaller, „Einleitung“, S. 12.

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