Anthrofoto-Vision: Projektbeschreibung des Promotionsvorhabens „Anthrofoto“

Panorama der aktuellen Fotobuchlandschaft

Yann Arthus-Bertrand betitelte sein Lebenswerk zuvor dezidiert Human, das sich aus dem Luftbildprojekt Die Erde von oben, dem Datenbankprojekt 7 Billion Others und dem Umweltdokumentarfilm Home speist, in deren Folge 2015 unter dem neuen Titel ein weiterer Film sowie das entsprechende Fotobuch entstanden sind.[1] Der populäre Fotograf beschreibt das Verhältnis seiner Luft- und Landschaftsbilder zum Menschen wie folgt:

„Da ist nicht die Natur auf der einen Seite und der Mensch auf der anderen. […] Der Mensch ist immer präsent in meinen Landschaftsaufnahmen, auch wenn niemand zu sehen ist.“[2]

Diese Verknüpfung realisierte Arthus-Bertrand fotojournalistisch durch Interviews von über zweitausend Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten – unter Verwendung eines einheitlichen Fragenkataloges und Settings.[3] Das Projekt wurde 2015 im Rahmen einer internationalen und multimedialen Kampagne einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.[4] Im begleitenden Fotobuch finden sich neben Porträts von Menschen und Landschaften auch Infografiken und Exklusivmaterialien, die Einblicke aus der Sicht der Produzent*innen, aber auch der Erdbewohner*innen in sie aus verschiedenen Blickwinkeln betreffenden Themen wie Globale Gerechtigkeit und dem Anthropozän bieten sollen. Weitere Materialien sind als digitale Sammlung und Ausstellung auf der Plattform Google Arts & Culture frei zugänglich archiviert.[5]

Edward Burtynsky – ein Kollege und Konkurrent Arthus-Bertrands aus der Landschafts- und Luftbildfotografie – verschreibt sein Lebenswerk im Jahr 2018 ganz dem Anthropozän: Unter The Anthropocene Project fasst er zusammen mit Jennifer Baichwal und Nicholas de Pencier – nach ihrem Selbstverständnis analog zur interdisziplinären Anthropocene Working Group (AWG) –[6] den Dokumentarfilm Anthropocene: The Human Epoch, eine bis heute andauernde Wanderausstellung, frei verfügbare Unterrichtsmaterialien, darunter eine interaktive Weltkarte auf Google Earth und „Gigapixel“-Bildessays sowie einen Essayband und ein Fotobuch mit dem Titel Anthropocene.[7] Der Film gehört zu einer Trilogie, doch anders als zuvor bei Manufactured Landscapes und Watermark handelt es sich dabei nicht mehr um ein Künstlerporträt und eine Werkschau, sondern um ein Narrativ bestehend aus diversen Schauplätzen von Erdarbeiten und ihren Akteuren, die von „EXTRACTION“ bis zu „EXTINCTION“ reichen.[8] Folglich hat sich der zugehörige Bildband vom katalogisierenden Künstlerbuch zum informativen und multimedialen Fotobuch gewandelt, dessen zweite Auflage bereits vergriffen ist. Auch enthält das Buch zusätzliche Kapitel – darunter Extraseiten, die über die App „AVARA“ Zugriff auf mehrere Kunst- sowie Filminstallationen in Augmented Reality gewähren. In einem Nachwort begründet Kameramann und Co-Regisseur Nicholas de Pencier die ‚Multivisualität‘ des Projekts wie folgt:

„[Lens-based media] represent the most technological, most anthropogenic, of the art forms, and that is why we [are] deploying them for this project.“[9]


Aus der Geografie kommend ist die Fotografie für James Balog ein Werkzeug, nicht nur Umweltveränderungen zu dokumentieren, sondern auch die Selbstwahrnehmung zu verändern:

„I want to do what I can to shift human understanding of who we are […]. […] I’ve believed for a long time that photographers are like the antennae of civilization. We are an integral part of the sensing mechanism of the human animal.“

So der Fotograf in einem Künstlerporträt.[10] In der Tat ist das Porträt von der Gletscherfotografie über die Fotografie von bedrohten Tierarten bis hin zu Androiden ein produktiver Gattungsbegriff für Balogs Werk.[11] Mit seinem letzten Werk The Human Element fasst er sein Schaffen unter einen neuen Begriff – zum einen als Werkrückschau sowie zum anderen als Zukunftsdokument des Anthropozäns: Rund vierzig Jahre Arbeit als Fotograf und neun verschiedene Werkserien finden Eingang in das großformatige Fotobuch aus dem Jahr 2021 – darunter neben Porträts auch Zeitrafferbilder, Fotocollagen und Filmzitate.[12] Dem Buch vorausgegangen ist eine kostenfreie Dokumentation, in der die Vier-Elemente-Lehre der Antike um den Menschen erweitert wird.[13] Dabei fokussiert Balog auf die anthropogenen Ursachen und Folgen von Umweltkatastrophen.
 
[1] Siehe hierzu: Gaede, Die Erde von oben; https://docubase.mit.edu/project/7-billion-others/ (Zugriff: 28.02.2023); Home, Arthus-Bertrand; Human, Arthus-Bertrand; Arthus-Bertrand, Human.
[2] Yann Arthus-Bertrand zit. in Titel Thesen Temperamente, „Filmberichte anlässlich der 72. Filmfestspiele von Venedig“, Das Erste, 13.09.2015.
[3] Vgl. GoodPlanet Foundation, HUMAN, S. 5.
[4] Vgl. ebd., S. 16.
[5] Siehe hierzu: https://artsandculture.google.com/partner/human-the-movie (Zugriff: 28.02.2023).
[6] Vgl. Baichwal zit. in: Morris u. Thompson: „Scale and Detail“. Die AWG arbeitet an einer evidenzbasierten Erforschung des Anthropozäns.
[7] Siehe hierzu: Anthropocene – The Human Epoch, Baichwal, Burtynsky u. de Pencier; https://theanthropocene.org (Zugriff: 28.02.2022); Burtynsky, Baichwal u. de Pencier (Hg.), Anthropocene; Burtynsky, Anthropocene.
[8] Siehe hierzu: Paul, Manufactured Landscapes; Manufactured Landscapes, Baichwal; Schubert u. Lord, Burtynsky: Water; Watermark, Baichwal u. Burtynsky.
[9] de Pencier, „Evidence“, in: Burtynsky, Anthropocene, S. 218.
[10] Balog zit. in A Redwood Grows in Brooklyn, Holbrooke.
[11] Siehe hierzu: Balog, Survivors; ders., Baumriesen; ders., Ice.
[12] Balog, The Human Element.
[13] The Human Element, Testa.

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