Wenn man den Leuten Glauben schenken soll, so ist Wiens Weltruf als Musikstadt ernstlich bedroht. Professor Leschetitzky verläßt Wien und gedenkt sich in Wiesbaden niederzulassen. Um die volle Bedeutung dieser Schreckensnachricht zu ermessen, muß erst erklärt werden, wer Professor Leschetitzky ist, und welchen Ruf er genießt. Für die meisten Engländer und für alle Amerikaner ist das Cottageviertel, wo er sein Heim aufgeschlagen hat, einfach das Mekka der Claviervirtuosen. Wer nachweisen kann, bei Leschetitzky zehn Stunden genommen zu haben, kann auf eine gutzahlende Schülerschaar in jeder amerikanischen Stadt rechnen. Eine Stunde bei Leschetitzky wird nach Vermögen der Schüler bezahlt, manchmal über zwanzig, nie unter zehn Gulden. Dabei nehmen an der „Stunde“, die zwei Stunden dauert, fünfzehn bis zwanzig Schüler zugleich Theil, und der Einzelne kommt etwa zehn Minuten lang „dran“. Paderewsky, Hamburg, Essipow sind eben auch aus der Schule Leschetitzky's hervorgegangen. Mark Twain kam vor zwei Jahren zum Aufenthalt nach Wien, nur um seiner Tochter Gelegenheit zu geben, bei diesem berühmten Meister zu lernen. Wie zu einer Gottheit sah die bildschöne Clara Clemens zu ihrem Lehrer auf, und sie lernte zuletzt polnisch, um ihm ihre Verehrung zu beweisen. Als Ende 1897 Mark Twain einmal befragt wurde, wen er wohl für den momentan berühmtesten Oesterreicher halte, dessen Neujahrsgrüße für ein amerikanisches Blatt am höchsten geschätzt würden, erwiderte er mit einem malitiösen Lächeln und einem Blick auf die Tochter: „Wenn Sie die Clara fragen, wird sie Ihnen gewiß den Professor Leschetitzky nennen.“ Er kannte ihn eben nur von der Seite des hohen Honorars und der unausgesetzten Dudelei, die ihn beim Arbeiten störte. Im Cottageviertel giebt es eine Anzahl Pensionen, die nur von Schülern und Schülerinnen Leschetitzky's leben. Das wird ein Wehklagen sein. Die Wiesbadener dagegen können sich in's Fäustchen lachen. | If people are to be believed, Vienna's world reputation as a city of music is seriously threatened. Professor Leschetitzky is leaving Vienna and intends to settle in Wiesbaden. In order to appreciate the full significance of this terrible news, it must first be explained who Professor Leschetitzky is and what reputation he enjoys. To most Englishmen, and to all Americans, the Cottageviertel where he has made his home is simply the Mecca of piano virtuosos. Anyone who can prove that he has taken ten lessons with Leschetitzky can count on a crowd of good-paying students in any American city. An hour with Leschetitzky is paid according to the student's wealth, sometimes over twenty, never less than ten gulden. Fifteen to twenty students take part in the “lesson”, which lasts two hours, and each student has a “turn” for about ten minutes. Paderewsky, Hamburg, Essipov also came out of Leschetitzky's school. Mark Twain came to stay in Vienna two years ago, just to give his daughter the opportunity to learn from this famous master. As if to a deity, the beautiful Clara Clemens looked up to her teacher, and she eventually learned Polish to prove her devotion to him. When Mark Twain was asked at the end of 1897 who he thought was the most famous Austrian at the moment, whose New Year's greetings for an American newspaper would be most appreciated, he replied with a malicious grin and a glance at his daughter: “If you ask Clara, she will certainly name Professor Leschetitzky”. Twain knew the man only from his high fee and the incessant warbling that disturbed any work. In the Cottageviertel there are a number of boarding houses that live only from Leschetitzky's students. There will be plenty of lamentation. The people of Wiesbaden, on the other hand, will have a good laugh. |