Transcription | English Translation / Original Text |
---|
Was Mark Twain vom Mississippi erzählt | What Mark Twain writes about the Mississippi |
Die furchtbaren Ueberschwemmungen des Riesenstromes erinnern an Mark Twains berühmtes Buch „Leben auf dem Mississippi“, worin er von dem von ihm so sehr geliebten Heimatstrome erzählt. Wir entnehmen demselben eine lebendige Charakteristik des Mississippi, die uns das eigenartige Wesen dieses Stromes und die gegenwärtigen Ueberschwemmungsgefahren in ihren bedenklichen Wirkungen deutlich veranschaulicht. | {The terrible floods of the giant river bring to mind Mark Twain's famous book “Life on the Mississippi”, in which he writes of the river he loved so much. The book provides a vivid characterization of the Mississippi, which clearly illustrates the peculiar nature of this river and the present danger of flooding in their alarming effects.} |
Es lohnt sich wohl der Mühe, von dem Mississippi zu lesen; er ist kein gewöhnlicher Fluß, sondern in jeder Beziehung merkwürdig. Betrachtet man den Missouri als seinen Hauptarm, so ist er der längste Fluß der Welt, volle viertausenddreihundert englische Meilen lang. Auch kann man mit Sicherheit behaupten, dass er der gekrümmteste Fluß der Welt ist. Da er aus einem Teile seines Weges eintausenddreihundert Meilen weit fließt, um eine Entfernung zurückzulegen, welche in der Luftlinie nur sechshundertundfünfundachtzig Meilen beträgt. Er ergießt dreimal so viel Wasser ins Meer wie der St. Lorenzstrom, fünfundzwanzigmal so viel wie der Rhein und dreihundertundachtunddreißigmal so viel wie die Themse. Kein anderer Strom entwässert ein so ungeheures Becken; er entnimmt sein Wasser achtundzwanzig Staaten und Territorien zwischen Delaware an der atlantischen Küste und Idaho an den Abhängen des Stillen Meeres, eine Entfernung von fünfundvierzig Längengraden. Der Mississippi nimmt das Wasser von fünfundvierzig geringeren Flüssen, die für Dampfboote schiffbar sind, und von einigen hundert, welche von Leichtern und Flachbooten befahren werden, in sich auf und führt es dem Golf zu. Das Areal des von ihm entwässerten Beckens ist so groß wie der Flächenraum von England, Wales, Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal, Deutschland, Oesterreich, Italien und der Türkei zusammen, und fast das ganze Weite Gebiet ist fruchtbar, das eigentliche Mississippital sogar in hohem Maße. | The Mississippi is well worth reading about. It is not a commonplace river, but on the contrary is in all ways remarkable. Considering the Missouri its main branch, it is the longest river in the world - four thousand three hundred miles. It seems safe to say that it is also the crookedest river in the world, since in one part of its journey it uses up one thousand three hundred miles to cover the same ground that the crow would fly over in six hundred and seventy-five. It discharges three times as much water as the St. Lawrence, twenty-five times as much as the Rhine, and three hundred and thirty-eight times as much as the Thames. No other river has so vast a drainage-basin: it draws its water supply from twenty-eight States and Territories; from Delaware, on the Atlantic seaboard, and from all the country between that and Idaho on the Pacific slope - a spread of forty-five degrees of longitude. The Mississippi receives and carries to the Gulf water from fifty-four subordinate rivers that are navigable by steamboats, and from some hundreds that are navigable by flats and keels. The area of its drainage-basin is as great as the combined areas of England, Wales, Scotland, Ireland, France, Spain, Portugal, Germany, Austria, Italy, and Turkey; and almost all this wide region is fertile; the Mississippi valley, proper, is exceptionally so. |
Der Mississippi ist ein bemerkenswerter Fluß auch insofern, als er nach der Mündung zu nicht breiter wird, sondern sich verengert [sic]; er wird schmäler und tiefer. Von der Mündung des Ohio bis zu einem Punkte, etwa halbwegs abwärts dem Meere, beträgt die Breite bei hohem Wasserstande durchschnittlich eine englische Meile; von da verringert sich die Breite bis zum Meere stetig, bis sie bei den „Pässen“, oberhalb der Mündung, nur noch wenig mehr als eine halbe Meile ist. Am Ausfluß des Ohio ist die Tiefe des Mississippi siebenundachtzig Fuß; dann nimmt sie allmählich zu. Bis sie eben oberhalb der Mündung einhundertundneunundzwanzig Fuß erreicht. | It is a remarkable river in this: that instead of widening toward its mouth, it grows narrower; grows narrower and deeper. From the junction of the Ohio to a point half way down to the sea, the width averages a mile in high water: thence to the sea the width steadily diminishes, until, at the “Passes,” above the mouth, it is but little over half a mile. At the junction of the Ohio the Mississippi's depth is eighty-seven feet; the depth increases gradually, reaching one hundred and twenty-nine just above the mouth. |
Ebenso ist der Unterschied beim Steigen und Fallen des Wassers, zwar nicht auf dem oberen, aber auf dem unteren Lauf des Flusses, bemerkenswert. Bis nach Natchez (dreihundertundachtzig englische Meilen oberhalb der Mündung) hinab ist das Steigen ein ziemlich gleichmäßiges - etwa fünfzig Fuß; bei Bayou La Fourche steigt der Fluß aber nur vierundzwanzig, bei New Orleans fünfzehn und gerade oberhalb der Mündung sogar nur zwei und einen halben Fuß. | The difference in rise and fall is also remarkable - not in the upper, but in the lower river. The rise is tolerably uniform down to Natchez (three hundred and sixty miles above the mouth) - about fifty feet. But at Bayou La Fourche the river rises only twenty-four feet; at New Orleans only fifteen, and just above the mouth only two and one half. |
Nach den Berichten erfahrener Fachleute entleert dar Mississippi alljährlich vierhundertundsechs Millionen Tonnen Schlamm in den Golf von Mexiko, ein Quantum, das, zu einem festen Körper vereinigt, einen Flächeraum von einer englischen Quadratmeile bedecken und eine Höhe von einhundertundvierzig Fuß haben würde. Die Schlammablagerungen lassen das Land allmählich anwachsen, doch geschieht dies nur sehr langsam, da es in den zweihundert Jahren, welche verflossen sind, seitdem der Fluß seine Platz in der Geschichte eingenommen hat, nur um eine Drittelmeile vorgerückt ist. Die Gelehrten meinen, dass die Mündung des Flusses früher bei Baton Rouge, wo das hügelige Terrain aufhört, gelegen habe und dass die zweihundert Meilen zwischen dem genanntem Punkte und dem Golf von [sic] Flusse angeschwemmt worden seien. Daraus würde sich ganz ohne Mühe das Alter dieses Landes auf einhundertundzwanzigtausend Jahre berechnen lassen. | An article in the New Orleans “Times-Democrat,” based upon reports of able engineers, states that the river annually empties four hundred and six million tons of mud into the Gulf of Mexico <- which brings to mind Captain Marryat's rude name for the Mississippi - “the Great Sewer.”> This mud, solidified, would make a mass a mile square and two hundred and forty-one feet high. The mud deposit gradually extends the land - but only gradually; it has extended it not quite a third of a mile in the two hundred years which have elapsed since the river took its place in history. The belief of the scientific people is, that the mouth used to be at Baton Rouge, where the hills cease, and that the two hundred miles of land between there and the Gulf was built by the river. This gives us the age of that piece of country, without any trouble at all - one hundred and twenty thousand years. |
Noch in einer anderen Beziehung ist der Mississippi bemerkenswert, nämlich durch seine Neigung, wunderbare Sprünge zu machen und schmale Landzungen zu durchschneiden, um auf diese Weise seinen Lauf zu begradigen und zu verkürzen. Mehr als einmal hat er sich mit einem einzigen Sprunge um dreißig englische Meilen verkürzt! Diese Richtwege haben seltsame Folgen gehabt: es sind dadurch verschiedene am Fluß gelegene Städte mitten in ländliche Distrikte hinein versetzt und vor ihnen Sandbarren und Wälder aufgebaut worden. Die Stadt Delta hat sonst drei Meilen unterhalb Vicksburg gelegen; ein vor einiger Zeit vom Flusse eingeschlagener Richtweg hat die Lage aber radikal geändert, denn Delta liegt jetzt zwei Meilen oberhalb Vicksburg. | The Mississippi is remarkable in still another way - its disposition to make prodigious jumps by cutting through narrow necks of land, and thus straightening and shortening itself. More than once it has shortened itself thirty miles at a single jump! These cut-offs have had curious effects: they have thrown several river towns out into the rural districts, and built up sand bars and forests in front of them. The town of Delta used to be three miles below Vicksburg: a recent cutoff has radically changed the position, and Delta is now two miles above Vicksburg. |
Beide genannten Städte sind durch jenen Durchbruch vom Flusse ins Land hinein versetzt worden. Ein solcher Richtweg des Flusses zerstört zuweilen sogar die Staatsgrenzen: Beispielsweise kann ein Mann, der heute im Staate Mississippi lebt, infolge eines über Nacht erfolgten Durchbruchs sich und sein Land morgen an der anderen Seite des Flusses wiederfinden, wo er im Gebiete des Staates Louisiana ist und unter dessen Gesetzen sieht. Passierte derartiges in den früheren Zeiten am oberen Laufe des Flusses, so konnte es vorkommen, dass ein Sklave auf solche Weise von Missouri nach Illinois versetzt und zum freien Mann wurde. | Both of these river towns have been retired to the country by that cut-off. A cut-off plays havoc with boundary lines and jurisdictions: for instance, a man is living in the State of Mississippi to-day, a cut-off occurs to-night, and to-morrow the man finds himself and his land over on the other side of the river, within the boundaries and subject to the laws of the State of Louisiana! Such a thing, happening in the upper river in the old times, could have transferred a slave from Missouri to Illinois and made a free man of him. |
Der Mississippi verändert sein Bett aber nicht allein durch diese Durchbrüche, sondern auch in anderer Weise, und zwar dadurch, dass er sich seitwärts bewegt. Bei Hard Times, inr Staate Louisiana, fließt der Strom jetzt zwei englische Meilen westlich von der Stelle, die er früher einnahm. Eine Folge davon ist, dass der ursprüngliche Ort dieser Niederlassung sich jetzt nicht mehr im Staate Louisiana befindet, sondern am anderen Ufer, im Staate Mississippi liegt. Fast die ganze, eintausenddreihundert englische Meilen lange Strecke des alten Mississippi, welche La Salle vor zweihundert Jahren mit seinen Kanoes befuhr, ist jetzt guter, fetter, trockener Boden. An einzelnen Stellen fließt der Mississippi jetzt rechts, an anderen links von seinem alten Bette. | The Mississippi does not alter its locality by cut-offs alone: it is always changing its habitat bodily - is always moving bodily sidewise. At Hard Times, La., the river is two miles west of the region it used to occupy. As a result, the original site of that settlement is not now in Louisiana at all, but on the other side of the river, in the State of Mississippi. Nearly the whole of that one thousand three hundred miles of old Mississippi river which La Salle floated down in his canoes, two hundred years ago, is good solid dry ground now. The river lies to the right of it, in places, and to the left of it in other places. |
Während der Schlamm des Mississippi an der Mündung, wo die Wogen des Golfs ihn in Bewegung halten, nur langsam Land ansetzt, geschieht dies an besser geschützten Stellen weiter aufwärts um so viel schneller: beispielsweise maß die Propheteninsel vor dreißig Jahre nur eintausendfünfhundert Acker, die seitdem jedoch von dem Flusse um siebenhundert vermehrt worden sind. | Although the Mississippi's mud builds land but slowly, down at the mouth, where the Gulfs billows interfere with its work, it builds fast enough in better protected regions higher up: for instance, Prophet's Island contained one thousand five hundred acres of land thirty years ago; since then the river has added seven hundred acres to it. <...> |
De Soto warf nur einen flüchtigen Blick auf den Fluß, starb dann und wurde von seinen Priestern und Soldaten in ihm begraben. | De Soto merely glimpsed the river, then died and was buried in it by his priests and soldiers. <...> |
Schon länger als einhundertfünfzig Jahre waren an der Atlantischen Küste Ansiedelungen der Weißen gewesen. Diese Leute standen in innigster Verbindung mit den Indianern: im Süden wurden letztere von den Spaniern beraubt, zu Sklaven gemacht und bekehrt; weiter hinauf trieben die Engländer Tauschhandel mit den Indianern um Perlen und wollene Decken und schenkten ihnen die Zivilisation und den Branntwein, und in Kanada brachten ihnen die Franzosen die Elementarlehren bei, schickten Missionare zu ihnen und zogen zeitweilig ganze Stämme nach Quebec und später nach Montreal, um ihnen Pelze abzukaufen. Diese verschiedenen Gruppen von Weißen mußten notwendigerweise von dem großen Flusse des fernen Westens vernommen haben; sie hatten auch tatsächlich von ihm gehört, aber in so flüchtiger und unbestimmter Weise, daß sie sich kaum ein Bild von dem Lauf, den Verhältnissen und der Lage des Stromes machen konnten. Gerade das Geheimnisvolle der Sache hätte die Neugier anfache und zur Nachforschung anspornen sollen, allein das geschah nicht. Offenbar wollte zufälligerweise niemand solchen Fluß haben, niemand brauchte ihn, niemand war neugierig auf ihn, niemand war neugierig auf ihn [sic], und so blieb denn der Mississippi anderthalb Jahrhundert lang außerhalb des Marktes und ungestört. Auch De Soto suchte als er den Mississippi auffand, keinen Fluß und hatte im Augenblick keine Verwendung dafür: infolgedessen maß er ihm auch keinen Wert bei und schenkte ihm keine besondere Beachtung. | For more than a hundred and fifty years there had been white settlements on our Atlantic coasts. These people were in intimate communication with the Indians: in the south the Spaniards were robbing, slaughtering, enslaving and converting them; higher up, the English were trading beads and blankets to them for a consideration, and throwing in civilization and whiskey, 'for lagniappe;' and in Canada the French were schooling them in a rudimentary way, missionarying among them, and drawing whole populations of them at a time to Quebec, and later to Montreal, to buy furs of them. Necessarily, then, these various clusters of whites must have heard of the great river of the far west; and indeed, they did hear of it vaguely, - so vaguely and indefinitely, that its course, proportions, and locality were hardly even guessable. The mere mysteriousness of the matter ought to have fired curiosity and compelled exploration; but this did not occur. Apparently nobody happened to want such a river, nobody needed it, nobody was curious about it; so, for a century and a half the Mississippi remained out of the market and undisturbed. When De Soto found it, he was not hunting for a river, and had no present occasion for one; consequently he did not value it or even take any particular notice of it. |
Schließlich kam der Franzose La Salle auf den Gedanken, den Fluß aufzusuchen und zu erforschen. So bald jemand auf eine vernachlässigte, aber wichtige Idee verfällt, tauchen auf, welche von demselben Gedanken beseelt sind, und so geschah es auch hier. | But at last La Salle the Frenchman conceived the idea of seeking out that river and exploring it. It always happens that when a man seizes upon a neglected and important idea, people inflamed with the same notion crop up all around. It happened so in this instance. |
Naturgemäß wirft sich die Frage auf: Weshalb wollten diese Leute den Fluß jetzt habe, nachdem niemand ihn während der vorhergehenden fünf Generationen gewollt hatte? Offenbar weil man zu dieser späteren Zeit ein Mittel, ihn nutzbar zu machen, entdeckt zu haben meinte, denn man war zu der irrtümlichen Annahme gelangt, der Mississippi ergösse sich in den Golf von Kalifornien und böte daher einen kürzeren Weg für die Reise von Kanada nach China, während man vorher viel richtiger angenommen hatte, dass er in das Atlantische Meer oder die Virginische See münde. | Naturally the question suggests itself, Why did these people want the river now when nobody had wanted it in the five preceding generations? Apparently it was because at this late day they thought they had discovered a way to make it useful; for it had come to be believed that the Mississippi emptied into the Gulf of California, and therefore afforded a short cut from Canada to China. Previously the supposition had been that it emptied into the Atlantic, or Sea of Virginia. |