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Mark Twain in Wien | Mark Twain in Vienna |
Der berühmte amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat am 31. Oktober der Wiener „Concordia“ die „Ehre“ erwiesen, einer Einladung derselben zu folgen und den Abend in der Mitte der Mitglieder des Wiener Jonrnalisten und Schriftsteller-Vereins zuzubringen. Der große Saal des Kaufmännischen Vereins in der Johannesgasse, wo die „Festkneipe“ stattfand, war mit den Emblemen zweier sehr verschiedener Großmächte geschmückt: mit dem Sternenbanner der Ver. Staaten und dem bescheidenen Zeichen des Schriftenthums, der Feder. | On October 31, the famous American writer Mark Twain honored the Viennese “Concordia” by accepting an invitation to spend the evening in the midst of the members of the Viennese Journalists' and Writers' Association. The large hall of the Kaufmännischer Verein in the Johannesgasse, where the “Festkneipe” took place, was decorated with the emblems of two very different great powers: with the star-spangled banner of the United States and the modest symbol of literature, the pen. |
Der Abend nahm einen ebenso glänzenden wie heiteren Verlauf, und hierzu trugen neben einer witzigen Rede des Humoristen auch die Darbietungen hervorragender Künstler ihren Theil bei. An dem Ehrentische, in dessen Mitte Mark Twain saß, hatten Platz genommen: der amerikanische Gesandte Mr. Charlemagne Tower, der amerikanische General-Consul Mr. Hurst, Regierungsrath Dr Wlassack, die Direktoren Dr. Burckhardt, Mahler und Gettke, die Hofschauspieler Ritter v. Sonnenthal und Lewinsky, Hofopernsänger Van Dyk, Herr Alexander Girardi, Kammervirtuose Alfred Grünfeld und Andere. | The evening was as brilliant as it was cheerful, and in addition to a witty speech by the humorist, the performances of outstanding artists also contributed to this. The American envoy Mr. Charlemagne Tower, the American Consul General Mr. Hurst, Regierungsrath Dr. Wlassack, the directors Dr. Burckhardt, Mahler and Gettke, the court actors Ritter v. Sonnenthal and Lewinsky, court opera singer Van Dyk, Mr. Alexander Girardi, chamber virtuoso Alfred Grünfeld and others were seated at the table of honor, in the middle of which Mark Twain was seated. |
Der Präsident der „Concordia“, Herr Ferdinand Groß, ergriff als Erster das Wort. Er sagte: „Ich begrüße Sie im Namen der „Concordia“, Sie, den großen Humoriften, der über zwei Welten, die alte und die neue Welt, seine segensreiche Heiterkeit ausgeschüttet hat; Sie sind unter uns ein Ausländer, aber kein Fremder, und in der großen internationalen Kette, von der Goethe als Weltliterat geträumt hat, würde uns ein wichtiges Glied fehlen, wenn wir Mark Twain nicht kennen würden. Sie gehören uns, wie jeder civiltsirten Nation. Dieser Abend ist ein bedeutsamer, denn er liefert uns wieder den Beweis, daß die als leichtsinnig verschrieenen Phäaken an der Donau doch besser find, als ihr Ruf, vor allem darin, daß sie sich ein gewisses Weltbürgerthum bewahrt haben, welches ihnen ermöglicht, das Große und Edle, komme woher es wolle, mit offenen Armen aufzunehmen und voll zu genießen.“ Zum Schlusse brachte der Redner ein dreifaches Hoch auf Amerika aus, in welches die Gesellschaft lebhaft einstimmte. | The president of the “Concordia”, Mr. Ferdinand Groß, was the first to take the floor. He said: “I greet you in the name of the “Concordia”, you, the great humorist, who has poured out his blessed cheerfulness over two worlds, the old and the new; you are a foreigner among us, but not a stranger, and in the great international Chain, of which Goethe as a man of world literature dreamed, we would be missing an important link, if we did not know Mark Twain. You belong to us, as you belong to every civilized nation. This evening is a significant one, for it provides us once again with proof that the Phaeacians on the Danube, who have a reputation for being thoughtless, are better than their reputation, especially in that they have retained a certain cosmopolitanism which enables them to welcome and fully enjoy all that is great and noble, regardless of where it comes from.” The speaker concluded with a threefold cheer for America, to which the company joined in a lively chorus. |
Der Gesandte Charlemagne Tower dankte hierauf für den freundlichen Empfang, der seinem ausgezeichneten Landsmann und ihm zu Theil geworden. Es sei ihm schwer, seiner Freude darüber Worte zu leihen, wie herzlich die Wiener Journalisten Mark Twain aufgenommen, welch freundliche Gefühle gegenüber Amerika sie zum Ausdruck brachten. Er freue sich, unter Journalisten und literarischen Männern zu weilen, die einem Volke angehören, das mit Amerika in bester Freundschaft lebt. | The envoy, Charlemagne Tower, then thanked the host for the friendly reception he and his excellent compatriot had received. It was difficult, he stated, for him to express his joy at how warmly the Viennese journalists had received Mark Twain and what friendly feelings they expressed toward America. He was pleased to be among journalists and literary men who belong to a people that lives in the best friendship with America. |
Nun erhob sich Mark Twain. Der größte Theil der Gesellschaft drängte sich zu dem Ehrentisch und umringte den gefeierten Schriftsteller, um keines seiner Worte zu verlieren. Mark Twain gab zuerst in seiner Muttersprache den Gefühlen des Dankes Ausdruck, den er in Wien, insbesondere bei seinen Collegen gefunden habe. Der gefeierte Humorist sprach leise und langsam, mit discreter und ausdrucksvoller Acentuirung. Dann begann er zur allgemeinen Ueberraschung Deutsch zu sprechen. | Now Mark Twain rose. Most of the company crowded to the table of honor and surrounded the celebrated writer so as not to miss any of his words. Mark Twain first expressed in his native language the feelings of gratitude he had found in Vienna, especially among his colleagues. The celebrated humorist spoke softly and slowly, with discreet and expressive emphasis. Then, to everyone's surprise, he began to speak German. |
„Es hat mich tief gerührt,“ sagte er, „hier so gastlich empfangen zu werden von Collegen aus meinem eigenen Beruf, in diesem von meiner Heimath so weit entfernten Lande. Mein Herz ist voll Dankbarkeit, aber meine Armuth an deutschen Worten zwingt mich zu großer Sparsamkeit im Ausdruck.“ | “It has touched me deeply,” he said, “to be received here so hospitably by colleagues from my own profession, in this country so far away from my home. My heart is full of gratitude, but my poverty of German words compels me to great economy of expression.” |
Hier nahm Mark Twain, der das Deutsche zwar ziemlich correct, jedoch mit starkem englischen Accent spricht, ein Manuscript aus der Tasche und fuhr fort: „Entschuldigen Sie, daß ich verlese, was ich Ihnen sagen will; die deutsche Sprache spreche ich nicht gut, doch haben mehrere Sachverständige mich [sic] versichert, daß ich sie schreibe wie ein - Engel. Mag sein - ich weiß nicht. Bis jetzt habe ich keine Bekanntschaft mit Engeln gehabt. Das kommt später (nach oben zeigend) wenn es dem lieben Gott gefällt. Es gibt keine Eile dabei. Seit lange [sic] habe ich die leiden schaftliche [sic] Sehnsucht gehegt, eine Rede auf Deutsch zu halten, aber man hat mir's nie erlauben wollen. Leute, die kein Gefühl für die Kunst hatten, legten mir immer Hindernisse in den Weg. Immer sagten diese Leute zu mir „Schweigen Sie, Hochwohlgeboren! Suchen Sie eine andere Art und Weise, sich lästig zu machen!“ Auch diesmal ist es mir schwierig geworden, mir die Erlaubniß zu verschaffen. Das Comité konnte mir die Erlaubniß nicht ertheilen wegen eines Gesetzes, das von der „Concordia“ verlangt, die deutsche Sprache zu beschützen. Ich habe aber nie das Verlangen gehabt, der edlen Sprache zu schaden. Im Gegentheile, ich habe nur gewünscht, sie zu verbessern, zu reformiren. Es ist der Traum meines Lebens gewesen. | Here Mark Twain, who speaks German quite correctly, but with a strong English accent, took a manuscript from his pocket and continued: “Excuse me for reading what I want to tell you; I do not speak the German language well, but several experts have assured me that I write it like an angel. Maybe - I don't know. So far I have had no acquaintance with angels. That will come later (pointing upward) when it pleases God. There is no hurry about it. For a long time I have had a passionate longing to give a speech in German, but I was never allowed to do it. People who had no feeling for art always put obstacles in my way. These people always said to me, “Silence, Your Highness! Find another way to make a nuisance of yourself!” This time, too, it became difficult for me to get permission. The Committee could not grant me permission because of a law that requires the “Concordia” to protect the German language. But I have never had the desire to harm the noble language. On the contrary, I have only wished to improve it, to reform it. It has been the dream of my life. |
„Ich habe schon Besuche bei verschiedenen deutschen Regierungen abgestattet und um Kontrakte gebeten. Ich würde nur einige Aenderungen anstreben, ich möchte die üppige, weitschweisige Konstruktion zusammendrücken, die ewigen Parenthesen unterdrücken, abschaffen, vernichten; ich würde die Einführung von mehr als dreizehn Subjecten in einem Satze verbieten, und das Zeitwort so weit nach vorne rücken, bis man es ohne Fernrohr entdecken kann. Mit einem Wort: Ich möchte Ihre geliebte Sprache vereinfachen. Ich flehe Sie an, sich von mir berathen zu lassen! Führen Sie die erwähnten Reformen aus, dann werden Sie eine prachtvolle Sprache haben. Vor mehreren Tagen hat der Correspondent einer hiesigen Zeitung einen Satz zu Stande gebracht, welcher 112 Worte enthielt, und darin waren sieben Parenthesen eingeschachtelt, und es wurde das Subjekt siebenmal gewechselt. Im Laufe der Reise eines einzigen Satzes muß das arme, verfolgte, ermüdete Subject siebenmal umsteigent! Noch Eins! Ich möchte gerne das trennbare Zeitwort ein bischen reformiren. Wenn alle diese Reformen durchgeführt sein werden, wird die deutsche Sprache die edelste und schönste auf der Welt sein. | “I have already visited various German governments and asked for contracts. I would seek only a few changes: I would compress the luxuriant, expansive structure; suppress, abolish, destroy the eternal parenthesis; I would forbid the introduction of more than thirteen subjects in a sentence, and move the verb so far forward that it could be discovered without a telescope. In sum, I would simplify your beloved language. I beg you to let me advise you! Carry out the mentioned reforms, then you will have a splendid language. Several days ago, the correspondent of a local newspaper produced a sentence containing 112 words, in which seven parentheses were nested and the subject was changed seven times. In the course of the journey of a single sentence, the poor, persecuted, tired subject must have changed seven times! One more thing! I would like to reform the separable verbs a bit. When all these reforms will have been carried out, the German language will be the noblest and most beautiful in the world. |
„Herr Pötzl hat in einem humoristischen Feuilleton über mich das Publikum glauben machen wollen, daß ich nach Wien gekommen bin, um die Brücken zu verstopfen, und den Verkehr zu hindern, während ich Beobachtungen sammle. Lassen Sie sich aber nicht von ihm anführen. Meine häufige Anwesenheit auf den Brücken hat einen ganz unschuldigen Grund. Dort giebt's den nöthigen Raum, meine deutschen Forschungen fortzusetzen. Dort kann man einen langen deutschen Satz ausdehnen die Brückengeländer entlang; auf das eine Ende des Geländers klebe ich das erste Glied eines trennbaren Zeitwortes und das Schlußglied klebe ich an's andere Ende, dan breite ich den Lleib des Satzes dazwischen aus. Gewöhnlich sind für meinen Zweck die Brücken der Stadt lang genug. Wenn ich aber Pötzl's Schriften studiren will, benütze ich die herrliche, unendliche Reichsbrücke. Aber das ist eine Verleumdung. Pötzl schreibt das schönste Deutsch, vielleicht nicht so biegsam wie das meinige, aber in manchen Kleinigkeiten viel besser. Entschuldigen Sie diese Schmeicheleien - sie sind wohl verdient. Nun bringe ich meine Rede um - nein, ich wollte sagen, ich bringe sie zum Schlusse. Ich bin ein Fremder, aber hier unter Ihnen in der gastfreundlichen Atmosphäre Wiens habe ich es ganz vergessen. Und so biete ich Ihnen wieder und wieder meinen herzlichsten Dank.“ | “Herr Pötzl, in a humorous feuilleton about me, wanted to make the public believe that I had come to Vienna to clog the bridges and prevent traffic while I was compiling observations. Don't let him lead you on, however. My frequent presence on the bridges has an entirely innocent reason. There is the necessary space to continue my German research. There, one can stretch a long German sentence along the bridge railing; on one end of the railing I stick the first part of a separable verb and the last part I stick on the other end, then I spread the body of the sentence between them. Usually the bridges of the city are long enough for my purpose. But when I want to study Pötzl's writings, I use the magnificent, infinite Reichsbrücke. But this is slander. Pötzl writes the most beautiful German, perhaps not as flexible as mine, but in some details much better. Excuse these flatteries - they are well deserved. Now I will kill my speech - no, I wanted to say I will bring it to a close. I am a stranger, but here among you in the hospitable atmosphere of Vienna I have quite forgotten it. And so I offer you again and again my warmest thanks.” |
Mark Twain erzielte mit seinem Speech einen stürmischen Heiterkeitserfolg. Nach jedem Satze ging helles Lachen durch die Gesellschaft. Der amerikanische Humorist hat aber auch eine eigene, trockene Art, seine barocken Einfälle und liebenswürdigen Uebertreibungen vorzutragen. Oft stockte er, eine deutsche Rede zu halten, wurde ihm sichtlich schwer, er half sich aber über solche Pausen hinweg, indem er rasch einige englische Worte einflocht, die er gleichsam als Brücke benützte, um wieder ins deutsche Geleise zu gelangen. | Mark Twain's speech was met with a storm of enthusiasm. Bright laughter spread through the audience after each sentence. The American humorist has his own dry way of presenting his baroque ideas and amiable exaggerations. He often faltered, it was visibly difficult for him to hold a speech in German, but he helped himself over such pauses by quickly weaving in a few English words, which he used as a bridge, as it were, to get back on the German track. |
Herr Regierungsrath v. Winternitz brachte hierauf in englischer Sprache einen Toast auf die Damen der Familie Mark Twain's aus, welcher gleichfalls lebhaft acclamirt wurde. Nun betrat Hofschauspieler Lewinsky das Podium und las sehr wirkungsvoll Mark Twain's Humoreske „Beim Niagarafall“. Sein eifrigster Zuhörer war der Verfasser selbst. Mark Twain, den seine Landsleute nicht nur als Schriftsteller sondern auch als Vorleser feiern, hing förmlich an den Lippen des Vortragenden und war offenbar neugierig auf die Wirkung seiner Dichtung in der fremden Sprache. | Regierungsrath v. Winternitz then offered a toast in English to the ladies in Mark Twain's family, which was likewise lively cheered. Now court actor Lewinsky took the podium and very effectively read Mark Twain's humoresque “At Niagara Falls” [Niagara]. His most eager listener was the author himself. Mark Twain, whom his compatriots celebrate not only as a writer but also as a reader, literally hung on the lips of the performer and was obviously curious about the effect of his poetry in the foreign language. |