Transcription | English Translation |
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Interessante Amerikaner | Interesting Americans |
Je mehr man das Privatleben berühmter Leute studirt, desto gründlicher wird man in der Regel von den Illusionen kurirt, welche deren öffentliche Leistungen erzeugt hatten. Die Hauptursache dieser Enttäuschung liegt gewöhnlich darin, daß die berühmten Herrschaften in der Regel an Größenwahn leiden und sich, verglichen mit ihren Nebenmenschen, für höhere Wesen ansehen, für olympische Götter, die nur zeitweise unter uns gewöhnlichen Sterblichen verweilen. Allerdings hat es zu allen Zeiten Ausnahmen von dieser Regel gegeben. | The more one studies the private lives of famous people, the more thoroughly one is usually cured of those illusions which their public achievements had previously inspired. The main cause of this disappointment frequently lies in the fact that famous people often suffer from delusions of grandeur and, compared to their fellow humans, consider themselves to be higher beings, Olympian gods who only temporarily dwell among us ordinary mortals. However, there have been exceptions to this rule at all times. |
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Weniger charakteristisch für die Entwicklung des inneren Menschen als für die Carrière des äußeren ist so Manches, was jetzt über die Schicksale des berühmten Humoristen Mark Twain erzählt wird, der sich seit einigen Jahren in der alten Welt aufhält und kürzlich, wie das Kabel meldete, mit seiner Tochter in Berlin eingetroffen ist. Im Anfang der sechziger Jahre war der zukünftige große Humorist Zeitungsreporter in San Francisco und schrieb nur gelegentlich selbständige kleine Skizzen, die jedoch, wie man zu sagen pflegt, nicht „einschlugen,“ d. h. ihrem Verfasser nicht zu einem Rufe in größeren Kreisen verhalfen. Im Jahre 1865 wurde Mark die Reporterei müde und ging in die Berge, um sich zu erholen und nebenbei ein wenig auf die Goldjagd zu gehen. Er wurde, was man so sagt “pocket-miner,” d. h. er forschte nach jenen Goldlagern, welche nicht aus fortlaufenden Erzadern, sondern aus Anhäufungen freien Goldes bestehen, welche durch die Naturkräfte, meistens wohl durch Wasserflüsse, in einer und derselben Höhlung oder Tasche des Terrains zusammengetragen worden sind. Mark zog mit einem Kameraden aus, und die beiden fanden bald eine gute Spur, die, wie sie richtig vermutheten, zu einem pocket führen mußte; dieses letztere, ein ganzer Schatz aus Goldkörnern, wurde von den beiden Jägern schließlich wirklich auf gespürt. Indessen war aber ein richtiger californischer Nebelregen eingetreten und der Humorist begann so schauerlich zu frieren, daß er erklärte, er habe keine Lust, den Erfrierungstod zu sterben; in zwei oder drei Tagen werde es ja wieder sonnig und warm sein und dann könne man in aller Bequemlichkeit den goldenen Bienenstock ausnehmen. | Less characteristic of the development of the internal personality than of that of the outward career is much that is now told of the fate of the famous humorist Mark Twain, who has been visiting the old world for some years now and recently, as the cable reported, arrived in Berlin with his daughter. In the early sixties, the soon-to-be great humorist was a newspaper reporter in San Francisco, writing only occasional independent little sketches, which, however, as the saying goes, did not “hit home,” that is, did not help their author to gain a reputation in wider circles. In 1865, Mark got tired of reporting and went to the mountains to relax and do a little gold hunting on the side. He became what is called a “pocket-miner,” that is, he searched for those gold deposits which consist not of continuous veins, but of accumulations of free gold which have been gathered by the forces of nature, mostly probably by rivers of water, in one cavity or pocket of the terrain. Mark went out with a companion, and the two soon found a good trail, which, as they correctly assumed, must lead to a pocket; this pocket, a whole treasure of gold grains, the two hunters finally tracked down. In the meantime, however, a real Californian misty rain had set in and the humorist began to freeze so terribly that he declared he had no desire to die of frostbite; after all, in two or three days it would be sunny and warm again, and then they would be able to extract the golden treasure comfortably. |
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Gesagt, gethan. Zähneklappernd und mit blauen Nasen, beschlossen die beiden Jäger, Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Um ihren Fund einigermaßen zu schützen, brachten sie in nächster Nähe desselben eine geschriebene Notiz an, auf welcher sie ihr Finderrecht auf eine gewisse Anzahl von Quadratfuß des Bodens erklärten. Eine solche Notiz schützt dreißig Tage, und mehr war im vorliegenden Falle nicht nöthig. Die halberfrorenen Goldjäger eilten dann nach dem nächsten Zufluchtsorte, einem in „Angels Camp“ von einem alten Mississippi-Steuermann gehaltenen „Hotel“. Da Mark Twain in seiner ersten Jugend ebenfalls auf Mississippi-Dampfern gedient hatte, so freundete er sich dem alten Corn Drayton - so hieß der grauköpfige Steuermann - rasch an und ließ sich von ihm eine Anzahl lustiger Geschichten erzählen. Darunter befand sich auch der „ Jumping Frog“, durch welchen Mark Twain später zuerst in weiteren Kreisen bekannt wurde. Es regnete drei Tage lang, und drei Tage lang erzählte der alte Steuermann. In seine eigene Cabine zurückgekehrt, machte sich der Journalist an die Arbeit, schrieb Skizzen für Blätter in San Francisco und einen ersten Entwurf der Geschichte vom „Hüpfenden Frosch“. | It was done as it was said. Teeth chattering and with blue noses, the two [treasure] hunters decided to seek shelter from the storm. In order to protect discovery to some extent, they placed a written note in the immediate vicinity of it, declaring their claim to a certain number of square feet of the ground. Such a note protects a claim for thirty days, and more than that was not necessary in such a case. The half-frozen gold hunters then hurried to the next place of refuge, a “hotel” kept in “Angels Camp” by an old Mississippi steersman. Since Mark Twain had also served on Mississippi steamboats in his early youth, he quickly made friends with old Corn Drayton - the name of the gray-haired helmsman - and had him tell a number of funny stories. Among them was the “Jumping Frog,” which later made Mark Twain more widely known [as an author]. It rained for three days, and for three days the old helmsman told stories. Returning to his own cabin, the journalist set to work, writing sketches for San Francisco papers and a first draft of the story of the “Jumping Frog.” |
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Was war aber indessen aus dem durch jenen Zettel geschützten „pocket“ in den Bergen geworden? Mark hatte, seit durch die Enthüllungen des alten Steuermanns der Schriftsteller in ihm erwacht war, auf jenen Schatz längst vergessen. Tag um Tag verrann, endlich waren alle dreißig vorüber, und der Schatz gehörte nun dem, der ihn heben wollte. Und an Schatzgräbern fehlte es damals in den Bergen und Klüften wahrhaftig nicht. Schon wenige Tage, nachdem Mark Twain und sein Kamerad zähneklappernd jene glückverheißende Spur verlassen hatten, gelang es einem Fähnlein von drei österreichischen Goldjägern, das kleine, auf dreißig Tage geschützte Eldorado aufzuspüren. Der Fund war nicht schwer zu machen. Mark und sein Kamerad hatten an jener Stelle einige Säcke voll der goldhaltigen Erde ausgeleert. Die starken Regengüsse hatten die Erde weggeschwemmt, das schwere Gold aber liegen lassen und so lagen Goldkörner im Gewicht von 3 Unzen glitzernd auf dem Boden umher, als die Oesterreicher die dem Humoristen gehörende Fläche betraten. Die drei hätten zu gerne weiter gegraben, aber im Angesichte der angeschlagenen Notiz wagten sie es nicht, trösteten sich aber mit der Hoffnung, die beiden Eigenthümer des „Claims“ würden nicht zurückkehren und ihr Recht in Anspruch nehmen. | But what had become of the “pocket” in the mountains protected by that note? Mark had long forgotten about that treasure since the revelations of the old man had awakened the writer in him. Day after day passed, finally all thirty were over, and the treasure now belonged to the one who wanted to dig it up. And there was certainly no lack of treasure hunters in the mountains at that time. Only a few days after Mark Twain and his companion had left that auspicious trail with their teeth chattering, a party of three Austrian gold hunters succeeded in tracking down the small Eldorado that had been claimed for thirty days. The place had not been difficult to find. In one spot Mark and his comrade had emptied several sacks full of the soil which contained lumps of gold. The heavy rains had washed away the earth, but left the heavy gold lying there, and so grains of gold weighing 3 ounces lay glittering in the open when the Austrians entered the area that belonged to the humorist. The three would have liked to dig further, but in the face of the posted notice they did not dare, but consoled themselves with the hope that the two owners of the “claim” would not return and assert their right. |
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Die Drei hatten sich nicht getäuscht. Als sich nach Ablauf der dreißig Tage zum ersten Male die Sonne erhob, waren die drei Glücksjäger schon an der Arbeit und hatten ihre eigene schriftliche Notiz an weithin sichtbarer Stelle angeschlagen. In wenigen Tagen war das „Pocket“ ausgeleert und Mark mag sich nicht übel den Kopf gekratzt haben, als er erfuhr, daß dasselbe beinahe 8000 Dollars werth an Goldstaub enthalten habe. Hätte Mark Twain damals dem Regen getrotzt und die goldhaltige Erde ausgewaschen, so würde er sofort die Reichhaltigkeit seines Fundes erkannt haben. Er wäre nicht nach „Angels Camp“ gezogen, hätte nie den „Hüpfenden Frosch“ geschrieben, sondern wäre höchst wahrscheinlich all' sein Lebtag ein „Pocket-Miner“ geblieben. Ob er sich dabei nicht gesünder und frischer erhalten hätte, als er jetzt ist, wer weiß es? | The three were not mistaken. When the sun rose for the first time at the end of the thirty days, the three fortune hunters were already at work and had posted their own written notice in a place visible from afar. In a few days the “pocket” was emptied and Mark may have scratched his head when he learned that it had contained almost 8000 dollars worth of gold dust. If Mark Twain had braved the rain and panned the gold himself, he would have immediately recognized the magnitude of his find. He would not have moved to “Angels Camp”, would never have written the “Jumping Frog”, but would most likely have remained a “pocket miner” all his life. Whether he would have kept himself healthier and fresher than he is now, who knows? |
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Freilich wäre in dem Goldjäger Twain eines der größten journalistischen Genies verloren gegangen. Sein Genius trieb ihn an, die schauerlichsten Geschichten zu erfinden und sie dem Publikum seines Blattes als unantastbare Wahrheit aufzubinden. So erfand er eines Tages einen unerhörten Mord. Ein Mann hatte seiner Frau und seinen neun Kindern die Hälse abgeschnitten. Dann stieg er zu Pferde, schnitt sich selbst die Kehle ab, ritt noch drei und eine halbe englische Meile, wo er dann vor einem Saloon todt niederstürzte. | Admittedly, one of the greatest journalistic geniuses would have been lost in the gold miner Twain. His genius drove him to invent the most gruesome stories and to present them to the audience of his paper as irrefutable truths. In this way he invented an outrageous murder in which a man had cut the throats of his wife and nine children. Then he got on horseback, cut his own throat, and rode three and a half English miles; then he fell down dead in front of a saloon. |
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Das war selbst für ein Publikum von Goldgräbern zu stark und Mark Twain war nahe daran, seinen Posten zu verlieren. Und das mit Recht. Denn das Lügen hat nur so lange eine Berechtigung, als es mit Geschmack geschieht. Elf Gurgeln auf ein mal - wie sollte da die nächste Lüge lauten? | This was too extreme even for an audience of gold miners, and Mark Twain came close to losing his post. And rightly so. For lying has justification only as long as it is done with taste. Eleven throats at once - what even could be the next lie after that one? |
Yorick. | Yorick. |