Transcription | English Translation |
---|
Cakewalk in Nizza | Cakewalk in Nice |
Eine Reiseerinnerung | A travel memory |
Man hat schon oft darüber nachgedacht, besonders zu der Zeit, da die Cakewalk-Epidemie ausbrach, worin denn eigentlich der unwiderstehliche Reiz seinen Ursprung haben mag, der den Menschen, auch den sonst vernüftigsten, zum Mitthun in den abgeschmacktesten Dingen treibt. Ist es Nachahmungssucht, ist es eine Art Infektion? Ein Ausbruch, ein urplötzlicher, von Narrheit, der jeden einmal überfallen kann? Mark Twain, Amerikas beliebter Humorist, erzählt eine sehr lustige Geschichte, wie er einmal von einer schrecklichen „Seuche“ befallen, von ihr auf den Tod gequält und zuletzt in der lächerlichsten Weise von ihr befreit worden sei. Es war keine körperliche Krankheit, die ihn ergriffen hatte, sie war aber schließlich gradezu zu einer solchen geworden. Es war der kitzelnde Refrain eines populären Couplets gewesen, der es ihm angethan hatte. Die Musik sowohl wie die Worte. So etwas wie: „Ich schwor ihr zu, ich liebte sie, sie sprach nur Tingelingeling! Ich fleht' sie an, mein Weib zu fein, sie lachte Tingelingeling!“ Das Tingelingeling wollte ihm nun Tag und Nacht nicht aus dem Kopf. Wo er ging und stand, ob er wachte oder schließ, immer summte ihm das fidele Tingelingeling in den Ohren, und er summte mit, er mochte sich dagegen sträuben soviel er wollte. Bei der Mahlzeit lag das Tingelingeling auf seinem Teller, schwamm es in seinem Wein. Wenn er ein Buch öffnete, sprang ihm statt des Titels der närrische Refrain entgegen. Statt Jemand „Guten Tag“ zu sagen, rief er Tingelingeling, und Tingelingeling verlangte er statt des Brausepulvers in der Apotheke. Er wurde darüber schwermüthig. er konnte nicht mehr schlafen, seine Wangen fielen ein, er magerte ab. Schon sah er den Tod vor Augen und bereitete sich vor, mit einem letzten Tingelingeling seinen letzten Seufzer auszuhauchen. | One has often wondered, especially when the cakewalk epidemic first broke out, what the origin of that irresistible attraction is which drives people, even the most sensible ones, to participate in the most distasteful things. Is it an imitation addiction, is it a kind of infection? An onset, a sudden one, of foolishness that can befall anyone? Mark Twain, America's beloved humorist, tells a very funny story about how he was once afflicted by a terrible “plague,” tormented to death by it, and finally freed from it in the most ridiculous way. It was not a physical disease that had taken hold of him, but it turned into one in the end. It had been the tickling refrain of a popular couplet that had done it to him. The music as well as the words. Something like: “I swore to her, I loved her, she said only Tingelingeling! I begged her to be my wife, she laughed at me Tingelingeling.” The Tingelingeling now wouldn't leave his head day and night. Wherever he walked and stood, whether he was awake or asleep, the fiddly Tingelingeling hummed in his ears, and he hummed along with it, he could try to resist it as much as he wanted. At mealtime, the Tingelingeling was on his plate, swimming in his wine. When he opened a book, instead of the title, the foolish refrain jumped out at him . Instead of saying “Good afternoon” to someone, he said Tingelingeling, and at the pharmacy he asked for Tingelingeling instead of soda powder. He became melancholy because of this. He could no longer sleep, his cheeks sank in, he lost weight. He already saw death before his eyes and prepared to exhale his last breath with a last Tingeling. |
In dieser verzweifelten Stimmung und als ein letztes Auskunftsmittel unternahm er eine weite Reise. Unterwegs traf er auf einen alten Jugendfreund, den er lange Jahre nicht gesehen hatte. Was war natürlicher, als daß er diesem sein schrekliches Leid klagte, ihn von dem unglückseligen Tingelingeling erzählte, das ihn ver[folgte,] das er nicht wieder loswerden könnte! | In this desperate mood and as a last resort, he undertook a long journey. On the way, he met an old friend from his youth whom he had not seen for many years. What could be more natural than to lament a terrible sorrow to a friend, so Mark Twain told him about the unfortunate Tingelingeling that followed him everywhere and that he could not get rid of again? |
Und wie er das gethan, da geschah etwas ganz Unerwartetes. Die Beichte wurde zum Heilmittel seiner Krankheit. Ueber dem ausschütten seines vollen Herzens verließ ihn das Narrenfieber, der Fluch wurde von ihm genommen. Dafür aber war das Leiden auf seinen armen Freund übergesprungen, dieser hatte die Ansteckung [weg]. Dem letzten Tingelingeling, das Mark Twain gemurmelt, folgte bald darauf das erste des neuen Kranken. Nach zehn Minuten summte es dieservor sich hin und wurde wie geistesabwesend. Und bereits am folgenden Morgen war der vorher noch so lebenslustige Mann unter den Folgen der schrecklichen Refrainpest zum Schatten abgefallen. | And as he did so, something quite unexpected happened. The confession became the remedy for his illness. Upon the outpouring of his full heart, the foolish fever left him, the curse was taken from him. Instead, however, the disease had spread to his poor friend, who had caught the infection. The last Tingelingeling, which Mark Twain murmured, was soon followed by the first one of the newly sick friend. After ten minutes he hummed the refrain to himself and became absent-minded. The following morning, the man who had been so full of life before had already fallen victim to the effects of the terrible jingle plague. |
„An diese liebenswürdige kleine Humoreske“ - so erzählte mir ein eben von der Riviera Zurückgekehrter - „mußte ich denken, als ich in Nizza die Beobachtung machte, daß der Cakewalk auf seinem Triumphzuge durch die Welt auch dorthin gelangt sei, daß er alles dort in seinem Bann halte, und daß ich selber, ehe ich mich versah, mit in die allgemeine Narretei hinein gerieth. Der Cakewalk-Bazillus, der in der deutschen Reichshauptstadt sich nicht als keimfähig erwies, ist, wie in Paris und Brüssel, auch in dem gallisch überfirnißten Nizza auf das üppigste angegangen. | “I was reminded of this amiable little humoresque”, a man who had just returned from the Riviera told me, “when I observed that the cakewalk - on its triumphal march through the world - had also reached Nice, that it was holding everything there under its spell, and that before I knew it, I myself was caught up in the general folly. The cakewalk bacillus, which did not prove capable of germinating in the German imperial capital, has, as in Paris and Brussels, also taken hold most abundantly in the Gallic-influenced Nice. |
... | ... |