Einer meiner letzten Briefe, in dem ich die Schattenseiten der guten Stadt Berlin besprach, hat verschiedenen Lesern Veranlassung zu „Berichtigungen“ und Ehrenrettungen gegeben. Ich bin diesen Kritikern dankbar, weil sie mich dazu anregten, weitere Erkundigungen über die fraglichen Verhältnisse einzuziehen und mir zugleich Gelegenheit gegeben haben, einige interessante persönliche Erfahrungen hier zu erzählen, vorerst möchte ich mir aber zwei kleine allgemeine Bemerkungen erlauben. | One of my last letters, in which I discussed the dark side of the good city of Berlin, has given various readers cause for “corrections” and vindications of honor. I am grateful to these critics because they have encouraged me to make further inquiries about the conditions in question and at the same time have given me the opportunity to relate some interesting personal experiences here, but for the time being I would like to take the liberty of two small general remarks. |
Da bin ich nun getadelt worden, weil ich über die kleinstädtischen Polizeischeerereien geklagt habe, denen der Fremde - übrigens in der allerhöflichsten Weise - unterworfen wird, und wie hier hat man mir auch über den Ocean zugerufen: „Ja, lieber Herr, in Berlin herrscht eben Ordnung! Und dann hat man dort das Einwohner-Meldeamt. wo man „ganz genau“ von jeder Person, die längere Zeit in Berlin war oder ist, erfahren kann, wo sie wohnt resp. wo sie sich hingewandt! Nur schade, daß die Praxis solcher „so praktischen“ Einrichtung so sehr hinter der Theorie zurückbleibt. Ich selbst habe in dieser Beziehung eine geradezu komische Erfahrung gemacht. | I have been reprimanded for complaining about the small-town policing practices to which foreigners are subjected - in the most courteous manner, by the way - and across the ocean I haveafterwards been reached by cries of: “Well, dear sir, in Berlin there is order! And there is the residents' registration office, where everybody can find out “exactly” the whereabouts of every person who has been or is in Berlin for a longer period of time!” It's just a pity that the practical use of such a “convenient” institution is so much behind its theoretical application. I myself have had an almost comical experience in this respect. |
Da muß man denn doch wohl zugestehen, daß die Resultate den Scherereien nicht entsprechen, und daß nun wieder diese unendliche Reihe von Ausfragen über Alles mögliche schließlich dem Fremden unerträglich werden kann, dafür kann ich keinen Geringeren als den allbekannten Humoristen Mark Twain (S. L. Clemens) zum Zeugen aufrufen. So lange man im Hotel wohnt, wird man wenig incommodirt, aber das Inquisitoriun beginnt, wenn man eine eigene Wohnung bezieht. Das hat Herr Clemens auch versucht, sich aber schnell wieder in ein Hotel geflüchtet, hauptsächlich weil er die Polizei-Scherereien satt hatte. Er sagt das Einzige, woran man ihn bis dahin noch nicht gefragt hätte, sei sein Impfschein. Ich nannte diese ganze Einrichtung kleinstädtisch und chicanös, weil sie sich in einer Stadt von 15 Millionen Einwohner [sic] nur einigermaßen durchführen läßt, wenn man, wie in Rußland jeden Hausdiener oder Wirth zum Spitzel macht. In Berlin aber kehren sich die „besseren“ Leute nicht daran, selbst hohe Beamte haben mir gesagt, es falle ihnen nicht ein, jedes Mal eine Meldung zu machen, wenn sie Besuch von außerhalb, auch auf längere Zeit, erhalten und wie leicht die Lichtscheuen es umgehen können, geht aus dem Gesagten von selbst hervor. Es ist ja denn auch bekannt, daß man in London, Paris, New York, Chicago Verbrecher ebenso schnell findet wie in Berlin, ohne jemals an ein solches System gedacht zu haben. | One has to admit that the results do not reflect the troubles, and that this endless series of questions about everything can finally become unbearable for any stranger and to testify to this I can call no lesser witness than the well-known humorist Mark Twain (S. L. Clemens). Lives in a hotel, ther is little discomfort, but the inquisition begins as soon as one moves into one's own apartment. Mr. Clemens himself tried this, but quickly took refuge in a hotel again, mainly because he was fed up with the police. He said the only thing they hadn't asked him about up to that point was his vaccination certificate. I called this whole institution provincial and bullying, because - in a city of 15 million inhabitants - it can only be implemented to a reasonable extent if, as in Russia, every house servant or landlord is made a snitch. In Berlin, however, the “better” people do not care; even high officials have told me that it does not occur to them to make a report every time they receive a visitor from outside, even for a longer period of time, and how easily shadier personalities can circumvent the whole matter is self-evident from what has been said. It is well known that criminals can be found just as quickly in London, Paris, New York and Chicago as in Berlin, without those cities ever having thought of such a system. |