Beaulieu, Gertraut Chales de
1 2024-03-06T07:59:20-08:00 Holger Kersten be319ed8bdb5a4fd7c387ac70fb9bb1beb4a2843 39726 5 plain 2024-12-11T23:55:10-08:00 -annotation -main -person HK Klara Blanke 2e76e4a8b5d98452e5fdd97c12e60f016a573238Sources:
Brümmer, Franz, "Beaulieu, G. von." (in Bettelheim 219).
Lohde, Clarissa, "Gertraut Chales de Beaulieu." Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Abend-Ausgabe, January 24, 1903, 7.
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2024-03-01T00:35:08-08:00
Amerika in Berlin | 06 Feb. 1892
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newspaper article
plain
2024-03-06T08:00:16-08:00
Der Deutsche correspondent
1892-02-06
MD-102
2024-03-01
KB
Der Deutsche correspondent. [volume] (Baltimore, Md.), 06 Feb. 1892. Chronicling America: Historic American Newspapers. Lib. of Congress. <https://chroniclingamerica.loc.gov/lccn/sn83045081/1892-02-06/ed-1/seq-7/>
This article is based on an original text by G. v. Beaulieu [Gertraut Chales de Beaulieu] first published on January 14, 1892 in Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung [p. 3]. A shorter version of it appeared on February 23, 1892, in Freie Presse für Texas.Transcription English Translation Amerika in Berlin America in Berlin („Berliner Tageblatt.“) (“Berliner Tageblatt”) Gestern Abend gegen acht Uhr konnte man in der Berliner Wilhelmstraße meinen, auf dem Broadway in New-York zu sein. Amerikanische Gestalten, amerikanische Gespräche! Die Täuschung wurde durch den Nebel erhöht, der die heimischen Bauten und Ladenschilder mit weißen Schleiern verhüllte und nur unter Gaslaternen und elektrischen Lampen den Menschenstrom erkennen ließ, welcher einer hohen, gothisch gewölbten Einfahrt zusteuerte. Im großen Saale des „christlichen Vereins junger Männer“ - so war angekündigt - sollte der amerikanische Humorist Mark Twain eine Vorlesung halten und zwar zum Besten des Baues einer amerikanischen Kirche in Berlin. Augenblicklich fehlt es noch an einer solchen, der Bau ist ein Lieblingsprojekt der gesammten amerikanischen Kolonie, und sie bethätigte [sic] ihr Interesse an dem Unternehmen durch ungewöhnlich zahlreiches Erscheinen. Dr. Stuckenberg, der amerikanische Prediger, machte die Honneurs des Abends und wurde von jungen Herren aus der Gesellschaft unterstützt. Laut Programm sollte Mark Twain's Vorlesung durch Gesang und Cellovorträge amerikanischer Künstler und Künstlerinnen unterbrochen werden. Yesterday evening around eight o'clock in Berlin's Wilhelmstraße, you could have been forgiven for thinking you were on New York's Broadway. American characters, American conversations! The illusion was heightened by the fog, which shrouded the local buildings and store signs with white veils and only under gas lanterns and electric lamps did we see the stream of people heading towards a high, gothically arched driveway. In the large hall of the “Young Men's Christian Association” - so it was announced - the American humorist Mark Twain was to give a lecture for the benefit of the erection of an American church in Berlin. At the moment there is still no such church, the construction is a favorite project of the entire American colony, and they confirmed their interest in the enterprise by attending the event in unusually large numbers. Dr. Stuckenberg, the American preacher, did the honors of the evening, and was supported by young gentlemen from the society. According to the program, Mark Twain's lecture was to be interspersed with singing and cello recitals by American performers. Ich kam sehr früh, denn ich sehe gern ein Publikum werden und wachsen. Auch erlauscht man sich da allerlei Unterhaltendes und Belehrendes. Heute gab die fast allgemein in englischer Sprache geführte Konversation auch den wenigen, in die Ausländer hinein verschneiten Deutschen die richtige Vorbereitung und Mark Twain-Stimmung. I came very early, because I like to see an audience take shape and grow. There are also a lot of entertaining and instructive things to hear. Today, the almost universally English conversation helped prepare even the few Germans that were mingling among the foreigners and contributed to the appropriate “Mark Twain atmosphere” . Anfangs sah ich fast nur Damen, junge hübsche Damen mit excentrischen Hüten, federwippenden, rothbeschleiften, mit schmalen, feinen interessanten Gesichtern und schlanken graziösen Gestalten. At first I saw almost exclusively ladies, young, pretty ladies in excentric hats with bobbing feathers, red bows, with narrow, delicate, interesting faces and slender graceful figures. Dann tauchten einzelne Herren auf; auf den Eckplätzen der Reihen waren es wohl meist Berichterstatter von Zeitungen, und wenn sie deutscher Zunge waren, hatte ihnen Mark Twain's leise abgerissene Sprechweise manche Nuß zu knacken aufgegeben. Dann erschienen noch andere Herren, ja, die jungen Republikanerinnen in meiner Nähe bemerkten mit Ehrfurcht und Entzücken zwei „wirkliche“ Offiziere in Uniform. Then individual gentlemen appeared. Those in the aisle seats were probably mostly reporters and if they were German, Mark Twain's quiet, clippped way of speaking must have given them many a riddle to crack. Finally other gentlemen appeared and indeed, the young republican girls near me noticed with awe and delight two “real” officers in uniform. Der Saal war gefüllt, alle Köpfe drehten sich der Thür zu; der hohe, kirchenähnliche Raum, welcher sonst wohl nur zu Gottesdiensten benutzt wird, hat gewiß nie so viel Eleganz und Neugier, oder sagen wir besser Spannung, vereint gesehen. The hall was filled, all heads turned towards the door; the high, church-like room, which is otherwise probably only used for church services, has certainly never seen so much elegance and curiosity, or rather tension, combined. Wie wird er sein? Wie aussehen? Gelesen hat jeder von ihm, aber auch von seinen Landsleuten haben ihn nur wenige gesehen. What is he going to be like? What is he going to look like? Everyone has read about him, but even among his compatriots only a few have seen him in person. Da führt Doktor Stuckenberg einen schlanken, großen weißköpfigen Herrn durch die Menge zum Podium. Der Gesangsvortrag eines jungen Amerikaners beginnt, Mark Twain setzt sich nieder und lauscht gespann dem Gesange. Then Doctor Stuckenberg leads a slim, tall, white-haired gentleman through the crowd to the podium. The song recital of a young American begins; Mark Twain sits down and listens intently to the music. Ich saß nur einige Schritte vom Podium entfernt und konnte den beliebten Humoristen genau betrachten. Ein schmales blasses kühnes Gesicht unter dem weißen mähnenähnlichen Haar; dunkle, kleine, tiefliegende Augen blitzen bald unter buschigen, noch dunklen Brauen, bald blicken sie scharf beobachtend in die Ferne; eine gebogene Nase mit gewölbten Nasenlöchern, ein dunkler langer Schnurbart über einem geistreichen Munde, ein starkes Kinn, dazu eine schmiegsame, und bewegliche, elegante Gestalt. I was sitting only a few steps away from the podium and could take a cloose look at the popular humorist. A narrow, pale, bold face under the white mane-like hair; dark, small, deep-set eyes - sometimes twinkling from under the bushy, still dark brows, sometimes looking keenly observant into the distance; a curved nose with arched nostrils, a dark long mustache over a witty mouth, a strong chin, in addition a lithe, and agile, elegant figure. Hush ! hush ! er fängt an zu sprechen. Mr. Samuel Langhorne Clemens, so ist Mark Twains bürgerlicher Name, begiebt sich nicht auf das Katheder, er steht auf dem Podium frei da, ja er geht hin und her, er bewegt sich lebhaft während des Vortrages. Hush ! hush ! he begins to speak. Mr. Samuel Langhorne Clemens, that is Mark Twain's civil name, does not go to the lectern, he stands freely on the podium, yes he walks back and forth and moves animatedly during the lecture. Mit einer Entschuldigung fängt er an. Er hat jüngst in Dresden für einen wohlthätigen Zweck gelesen, da sei der Diakonus auf ihn zugestürzt gekommen; „Sir, wo sind Ihre weißen Glaceehandschuhe? Wie wollen Sie ohne Glaceehandschuhe lesen?“ He begins with an apology. He had recently read for a charitable cause in Dresden, and the deacon had come rushing up to him; “Sir, where are your kid gloves? How are you going to read without your kid gloves?” Ich wußte nichts zu antworten, so sagte ich: „Ich pflege mit einer Brille zu lesen.“ I did not know how to answer, so I said, “I usually read with my glasses.” Darauf der andere: „Dreierlei ist in Deutschland heilige Sitte, die nicht verletzt werden darf, der Toast auf den Kaiser, das „Gesegnete Mahlzeit“ nach Tisch und die weißen Handschuhe beim Vortrag.“ To which the other replied, “There are three things that are sacred customs in Germany which must never be violated, drinking a toast to the Emperor, saying blessings after a meal, and wearing white kid gloves when reading.” „Daß ich einem dieser drei Kardinal-Grundsätze der guten Sitte heute wieder ins Gesicht schlage, fühle ich mit Beschämung, indem er vor ein deutsches Auditorium, bestehend aus amerikanischen Bürgern trete.“ So bekannte Mr. Clemens zerknirscht. Niemals, außer vielleicht bei Julius Stettenheims Tischreden, habe ich derartige Lachsalven gehört, wie sie hier nach jedem Satze erschollen. Mark Twain spricht trocken, ernst, er unterstützt seine Rede durch Gesten, doch nie verzieht er, seine Lippen, ja auch seine Augen lachen nicht. Was er spricht, klingt improvisirt; nur wenige Stellen aus seinem Buch „Ueber die deutsche Sprache“ las er vor, alles Andere trug er vollkommen frei, im Plaudertone vor, als sei es das Werk eines Augenblickes. “That today I should again slap in the face one of these three cardinal principles of good morals in appearing before a German audience composed of American citizens fills me with embarrassment.” Thus Mr. Clemens contritely confessed. Never, except perhaps at Julius Stettenheim's table speeches, have I heard such bursts of laughter as they resounded here after every sentence. Mark Twain speaks dryly, seriously, he supports his speech with gestures, but never does he contort his lips, even his eyes do not laugh. What he says sounds improvised; from his book he read only a few passages “On the German Language,” everything else he recited freely, in a conversational tone, as if it were the work of a moment. Von unwiderstehlicher Komik sind seine Auslassungen über die deutsche Sprache, über die trennbaren Wörter, z. B. daß Abreisen, bei dem man zwischen Ab und reisen so viel sagt, daß man gewiß den Zug versäumt, über die tückischen Dative, welche wie Plurale klingen, so daß einmal Jemand einen Hund im Dativ für Zwillingshunde gehalten habe, vor Allem über die Geschlechter. Daß das Weib ein Neutrum wäre, ebenso wie das Mädchen, sei eigentlich ein wenig hart von der Grammatik gegen die Aermsten, auch denke er es sich nicht gerade angenehm, daß der Mann bald einen männlichen Kopf und bald ein sächliches Haupt habe. Die Fülle von Geschlechtern bei Mensch, Thier und Gegenstand berühren freilich auch die Sprache und so habe er versucht, diese Mannigfaltigkeit auch auf seine Sprache zu übertragen und eine kleine Geschichte mit dem richtigen „Er, Sie und Es“ aszustatten. Of irresistible humour are his remarks about the German language, about the separable verbs - e.g. “Abreisen” [“depart for travel”], where one says so much between “Ab” and “reisen” that one will certainly miss the train - about the treacherous datives - which sound like plurals, so that someone once mistook a dog in the dative for twin dogs - and above all else about the genders. That the woman [“das Weib”] as well as the girl [“das Mädchen”] would be neuter, Twain considers to be a little harsh on part of the grammar and similarly he did not think it very pleasant that the man sometimes has a masculine head [“der Kopf”] and sometimes a neuter head [“das Haupt”]. The abundance of genders in humans, animals and objects naturally changes the language intself and so he had tried to translate this diversity into his own language and to equip a simple story with the correct usage of “he, she and it”. Um die Komik der „Geschichte der alten Fischfrau“ vollkommen zu würdigen, mußte man freilich ein Yankee-Ohr mitgebracht haben. Of course, to fully appreciate the comedy of this “Tale of the Fishwife,” one had to have a “Yankee ear”. Nachdem eine schöne junge Amerikanerin eine Kantilene und ein Allegro von Goltermann auf dem Cello geläufig vorgetragen, erzählte Mark Twain die Geschichte von der Blau-Elster aus seinem „From a tramp abroad“ [A Tramp Abroad]. Am Schlusse des Abends ergötzte er seine Zuhörer durch Wiedergabe eines Dialogs mit seinem ersten Interviewer, wie er diesen Wissensdurstigen so gründlich enttäuscht, daß ihm - Mark Twain - der Rath geworden er möge um Gottes willen den Mund hermetisch verschließen, wenn er seinen Namen nicht ganz verlieren wolle. So smart hätte er den Interviewer hinter’s Licht geführt. Der Humor dieser Scene war echt amerikanisch und berührte etwas fremdartig. After a beautiful young American lady had performed a cantilena and an allegro by Goltermann on the cello, Mark Twain told the story of the blue magpie from his “A Tramp Abroad”. At the end of the evening, he entertained his listeners by reproducing a dialogue with his first interviewer, whom he so thoroughly disappointed in his thirst for knowledge that he - Mark Twain - was advised to hermetically seal his mouth if he did not want to entirely risk his name. That's how smartly Twain had fooled the interviewer. The humor of this scene was genuinely American and touching in a somewhat alien manner. Trotz dieser Abschreckungsmethode werden - fürchte ich - die deutschen Interviewer seit diesem Abend bei Mr. Clemens nicht ausbleiben. Er hat sich mit seiner Gemahlin und seinen beiden hübschen erwachsenen Töchtern für den Winter hier häuslich niedergelassen; man sagt, daß er Berliner Correspondenzen für ein großes New-Yorker Blatt schreibe. Zu sehen, wie sich unser Leben, und unsere Zustände in diesem scharf satirischen und doch auch liebenswürdig humorvollen Kopfe spiegeln, dürfte besonders interessant sein. Mark Twain hat heute nur von unserer Sprache und unseren Glacehandschuhen gesprochen. Wie wäre es, wenn er uns einmal ohne Glacehandschuhe ehrlich sagte, was er über uns denkt? Ungarische, italienische, französische, holländische Schilderungen Berlin's haben wir schon gelesen, ein Mark Twain als Berliner Sittenschilderer fehlt uns noch. Despite this discouragement, I fear the German interviewers will not fail to visit Mr. Clemens after this evening. He has made himself at home here for the winter with his wife and two pretty grown-up daughters; it is said that he writes Berlin correspondence for a large New York paper. It should be particularly interesting to see how our lives and conditions are reflected in this sharply satirical and yet amiably humorous mind. Today, Mark Twain has only spoken of our language and our kid gloves. How would it be if he told us what he thinks about us “gloves off”? We've already read Hungarian, Italian, French and Dutch descriptions of Berlin, but we're still missing Mark Twain as a portrayer of local customs.